Rette mich vor dir
durchs Haar. Zuckt mit den Schultern. »Deine Leute vergeuden nur Zeit«, sagt er. »Eine Entführung nützt euch gar nichts. Das kann ich euch garantieren.«
46
Mittagessen.
Kenji und ich sitzen auf der einen Seite des Tischs, Adam und James auf der anderen.
Seit einer halben Stunde erörtern wir mein Gespräch mit Warner. Mein Tagebuch habe ich vorsätzlich nicht erwähnt, frage mich aber jetzt, ob das ein Fehler ist. Und ob ich nicht endlich damit rauskommen sollte, dass Warner mich berühren kann. Doch jedes Mal, wenn ich Adam anschaue, verlässt mich der Mut. Ich weiß nicht einmal, weshalb Warner mich anfassen kann. Vielleicht ist Warner die glückliche Ausnahme, für die ich bislang Adam gehalten habe. Vielleicht ist das alles ein kosmischer Scherz auf meine Kosten.
Ich weiß noch nicht, was ich tun will.
Aber irgendwie empfinde ich die Details des Gesprächs mit Warner als zu intim, um sie den anderen zu offenbaren. Es wäre mir zum Beispiel peinlich, ihnen zu sagen, dass Warner mir seine Liebe gestanden hat. Und ich möchte ihnen auch nicht gestehen, dass Warner mein Tagebuch gelesen hat. Nur Adam weiß noch von der Existenz des Notizhefts. Er hatte es aus der Anstalt gerettet und mir wiedergegeben. Aber er war zurückhaltend, sagte mir, er habe es nie gelesen. Weil er meine Privatsphäre respektieren wolle.
Warner dagegen hat in meinem Kopf herumgewühlt.
Ich bin extrem angespannt, wenn ich an ihn denke. Ängstlich, nervös, fühle mich angreifbar. Ich finde es unerträglich, dass er meine intimsten Gedanken kennt.
Er sollte gar nichts über mich wissen.
Er sollte alles über mich wissen. Der Mann, der mir gegenübersitzt. Der mit den tiefblauen Augen und dunkelbraunen Haaren und den Händen, die mein Herz und meinen Körper berührt haben.
Es scheint ihm nicht gut zu gehen.
Adam sitzt vornübergebeugt da, mit gerunzelter Stirn, verkrampft gefalteten Händen. Sein Essen hat er noch nicht angerührt, und seit meinem Bericht über mein Treffen mit Warner hat er noch kein einziges Wort gesprochen. Kenji war ebenso schweigsam. Alle sind ziemlich ernst seit den Kämpfen; wir haben mehrere Leute aus unseren Reihen verloren.
Ich hole tief Luft und rede weiter.
»Was meint ihr also?«, frage ich. »Zu dem, was er über Anderson gesagt hat?« Ich benutze das Wort Vater nicht mehr für Anderson, vor allem nicht in Anwesenheit von James. Ich weiß nicht, ob Adam mit seinem Bruder darüber gesprochen hat, und es geht mich auch nichts an. Ich finde es allerdings beunruhigend, dass Adam seit unserer Rückkehr vor 2 Tagen auch kein weiteres Wort zu dem Thema verloren hat. »Glaubt ihr auch, dass es Anderson einerlei ist, ob wir Warner als Geisel haben?«
James verengt die Augen beim Kauen und schaut in die Runde, als wolle er sich jedes Wort einprägen, das gesprochen wird.
Adam reibt sich die Stirn. »Das«, sagt er dann schließlich, »könnte schon zutreffen.«
Kenji verschränkt die Arme, beugt sich vor. »Ja, es ist ziemlich sonderbar. Wir haben absolut nichts von denen gehört, und es sind schon achtundvierzig Stunden vergangen.«
»Wie denkt Castle darüber?«, frage ich.
Kenji zuckt die Achseln. »Ist vollkommen abgestresst. Ian und Emory waren in üblem Zustand, als wir sie gefunden haben. Ich glaube, sie sind noch immer bewusstlos, obwohl Tana und Randa rund um die Uhr im Einsatz sind, um sie zu heilen. Ich glaube, Castle fürchtet, dass wir Winston und Brendan nicht mehr lebend wiedersehen.«
»Vielleicht«, bemerkt Adam, »rühren sie sich auch deshalb nicht, weil du Anderson in beide Beine geschossen hast. Vielleicht muss er sich erst erholen.«
Ich verschlucke mich fast an dem Wasser, das ich gerade trinke. Werfe einen Blick auf Kenji, um zu sehen, ob er Adam widersprechen will, aber er bleibt stumm.
Schließlich nickt er. Sagt: »Ja. Stimmt. Das hatte ich fast vergessen.« Er zögert. »Könnte hinkommen.«
»Du hast ihm in die Beine geschossen?«, fragt James und starrt Kenji mit großen Augen an.
Kenji räuspert sich, schaut mich aber nicht an. Ich frage mich, weshalb er mich deckt. Weshalb er es für besser hält, die Wahrheit nicht zu offenbaren. »Ja«, antwortet er und fährt fort zu essen.
Adam holt tief Luft. Schiebt seine Ärmel hoch, starrt auf die in seinen Unterarm geritzten konzentrischen Kreise, Zeichen aus seiner militärischen Vergangenheit.
»Aber warum?«, fragt James.
»Was meinst du?«, erwidert Kenji.
»Warum hast du ihn nicht umgebracht? Warum nur in die
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