Rette mich vor dir
Beine geschossen? Hast du nicht gesagt, er ist der Böse? Wegen dem alles so schlimm ist?«
Kenji bleibt eine Weile stumm. Stochert mit dem Löffel in seinem Essen. Legt ihn schließlich hin und bedeutet James, dass er zu ihm kommen soll. Ich rutsche beiseite, um Platz zu machen. »Komm mal her«, sagt Kenji zu James und zieht ihn an sich. James legt die Arme um Kenji. Und Kenji wuschelt dem Jungen durch die Haare.
Ich wusste nicht, dass die beiden sich so nah sind.
Vergesse immer wieder, dass die 3 sich ein Zimmer teilen.
»Okay. Bist du bereit für eine kleine Unterrichtsstunde?«, fragt Kenji.
James nickt.
»Es ist so: Wir haben von Castle gelernt, dass man nicht einfach den Kopf abschlagen kann, verstehst du?« Er zögert, überlegt. »Wenn wir den Führer der Feinde umbringen – was würde dann passieren?«
»Frieden auf der ganzen Welt?«, antwortet James.
»Eben nicht. Totales Chaos.« Kenji schüttelt den Kopf. Reibt sich die Nasenspitze. »Und Chaos ist fast unmöglich zu bekämpfen.«
»Wie wollt ihr dann siegen?«
»Genau«, sagt Kenji. »Das ist genau die Frage. Den Anführer des Gegners können wir erst dann verschwinden lassen, wenn wir bereit zur Machtübernahme sind – wenn es also einen neuen Führer gibt, der an die Stelle des alten treten kann. Die Menschen brauchen jemanden, um den sie sich scharen können, verstehst du? Und wir sind eben noch nicht so weit.« Er zuckt die Achseln. »Wenn wir nur gegen Warner gekämpft hätten – ihn zu beseitigen wäre kein Thema gewesen. Aber hätten wir Anderson getötet, hätte komplette Anarchie geherrscht. Und bei Anarchie besteht die Gefahr, dass jemand anderer – der womöglich noch übler ist – vor uns die Herrschaft ergreift.«
James erwidert etwas, aber ich höre es nicht.
Adam starrt mich an.
Vollkommen unverhohlen. Er spricht nicht. Schaut auf meine Augen, meinen Mund, lässt den Blick zu lange dort verweilen. Wendet kurz den Kopf, fixiert mich dann aber sofort wieder. Jetzt ist sein Blick noch drängender. Verlangender.
Mein Herz beginnt zu schmerzen.
Ich sehe, wie er mühsam schluckt. Wie seine Brust sich hebt und senkt. Die Anspannung in seinem Kiefer, in seinem ganzen Körper. Und die ganze Zeit gibt er keinen einzigen Laut von sich.
Ich sehne mich so entsetzlich danach, ihn zu berühren.
»Klugscheißer.« Kenji gluckst, schüttelt den Kopf, belustigt über James’ Bemerkung. »Du weißt, dass ich das so nicht gemeint habe. Außerdem«, er seufzt, »sind wir noch nicht ausreichend vorbereitet, um mit einem solchen Irrsinn umzugehen. Wir beseitigen Anderson, wenn wir bereit sind zur Machtübernahme. Das ist der einzig sinnvolle Weg.«
Adam steht abrupt auf. Schiebt das Essen weg, das er nicht angerührt hat, und räuspert sich. Schaut Kenji an. »Deshalb hast du ihn also nicht umgebracht, obwohl er direkt vor dir lag.«
Kenji kratzt sich am Hinterkopf. »Hör zu, Mann, wenn ich gewusst hätte –«
»Vergiss es«, unterbricht ihn Adam. »Du hast mir einen Gefallen getan.«
»Wie meinst du das?«, fragt Kenji. »Hey, Mann, wo gehst du hin –«
Doch Adam dreht sich nicht mehr um.
47
Ich laufe ihm nach.
Ich folge ihm einen menschenleeren Gang entlang, obwohl ich weiß, dass ich das nicht tun sollte. Ich sollte nicht alleine mit ihm sprechen, sollte meine Gefühle für ihn nicht noch bestärken, aber ich mache mir Sorgen. Ich kann nichts dagegen tun. Er zieht sich in sich selbst zurück, verschwindet in einer Welt, zu der ich keinen Zugang mehr habe, und ich kann es ihm nicht einmal zum Vorwurf machen. Kann nur erahnen, was er gerade durchmacht. Diese ganzen neuen Informationen könnten einen weniger gefestigten Menschen in den Irrsinn treiben. Und es ist uns zwar gelungen zusammenzuarbeiten, aber wir haben keine Gelegenheit für ein persönliches Gespräch gefunden.
Ich muss wissen, wie es ihm geht.
Ich kann nicht einfach aufhören, ihm innerlich nah zu sein.
»Adam?«
Als er meine Stimme hört, bleibt er stehen. Starr vor Überraschung. Dreht sich um, und binnen Sekunden zeichnen sich Hoffnung, Verwirrung, Sorge auf seinem Gesicht ab. »Was ist los?«, fragt er. »Ist etwas passiert?«
Und plötzlich steht er vor mir, in seiner ganzen Größe, und ich ertrinke in Gefühlen und Erinnerungen, die ich nie vergessen wollte. Ich versuche mich mühsam zu entsinnen, worüber ich mit ihm sprechen wollte. Warum ich ihm jemals gesagt habe, dass wir nicht zusammen sein können. Warum ich mir sogar 5 Sekunden in seinen
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