Rette mich
konzentrieren. Ich versuchte, so viel Abstand zwischen mir und Gabe zu halten wie möglich. Bald würde ein Auto auftauchen. Es musste.
»Schneller kannst du nicht?« Er konnte nicht mehr als sechs Meter hinter mir sein. Und schlimmer noch, er klang nicht einmal außer Atem. Mir kam der schreckliche Gedanke, dass er sich nicht einmal angestrengt hatte. Er hatte Spaß am Katz-und-Maus-Spielen, und während meine Kräfte mit jedem Schritt nachließen, begeisterte er sich nur noch mehr.
»Renn weiter!«, sagte er in seinem Singsang. »Aber streng dich nicht zu sehr an. Es macht keinen Spaß, wenn du dich nicht mehr wehren kannst, wenn ich dich einhole. Ich will spielen !«
Weiter vorne hörte ich das tiefe Brummen eines sich nähernden Motors. Scheinwerfer tauchten auf, und ich stellte mich mitten auf die Straße und schwenkte verzweifelt die Arme. Gabe würde mir nichts tun, wenn Zeugen dabei wären. Oder?
»Stopp!«, schrie ich weiter, dem Pick-up zu, der näher heranrollte.
Der Fahrer bremste neben mir und ließ sein Seitenfenster herunter. Er war mittleren Alters, trug ein Flanellhemd und roch stark nach Fischereihafen.
»Was ist los?«, fragte er. Sein Blick fiel über meine Schulter, wo ich Gabes Gegenwart wie ein kaltes Knirschen in der Luft spürte.
»Wir spielen nur Versteck«, sagte Gabe und legte mir den Arm um die Schultern.
Ich schüttelte ihn ab. »Ich habe diesen Kerl noch nie im Leben gesehen«, sagte ich zu dem Mann. »Er hat mich im Supermarkt bedroht. Ich glaube, er und seine Freunde versuchen, den Laden auszurauben. Als ich hereinkam, war der Laden leer, und ich habe gehört, wie hinten gekämpft wurde. Wir müssen die Polizei rufen.«
Ich hielt inne, wollte ihn gerade fragen, ob er ein Handy dabeihatte, als ich verwirrt sah, wie er nach vorn blickte und mich ignorierte. Er drehte sein Fenster ganz nach oben und schloss sich in der Fahrerkabine des Pick-ups ein.
»Sie müssen helfen!«, sagte ich und klopfte an seine Scheibe. Aber sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Ein kleiner Schauder ging über meine Haut. Der Mann würde nicht helfen. Er würde mich hier draußen mit Gabe alleinlassen.
Gabe machte mich nach, klopfte an die Scheibe. »Helfen Sie mir!«, schrie er mit schriller Stimme. »Gabe und seine Freunde rauben den Supermarkt aus. Oh, Mister, helfen Sie mir, sie aufzuhalten!« Dann warf er den Kopf in den Nacken und erstickte fast an seinem eigenen Gelächter.
Beinah mechanisch sah der Mann im Pick-up zu uns herüber. Seine Augen schielten etwas, und er zwinkerte nicht.
»Was ist mit Ihnen los!«, rief ich und rüttelte am Türschloss des Wagens. Ich schlug noch einmal gegen die Scheibe. »Rufen Sie die Polizei!«
Der Mann trat aufs Gaspedal. Der Pick-up gewann an Fahrt, und ich lief daneben her, gab die Hoffnung nicht auf, dass ich die Tür öffnen könnte. Er gab mehr Gas, und ich stolperte über meine Füße in dem Versuch mitzuhalten. Plötzlich schoss er davon, und ich wurde auf die Straße hinausgeschleudert.
Ich wirbelte zu Gabe herum. »Was hast du mit ihm gemacht?«
Das hier.
Ich zuckte zusammen, hörte das Echo des Wortes in meinem Kopf wie die Anwesenheit eines Geistes. Gabes Augen wurden zu schwarzen Abgründen. Sein Haar fing sichtlich an zu wachsen, erst auf seinem Kopf, dann überall. Es erschien in Büscheln an seinen Armen, bis zu den Fingerspitzen, bis er ganz in Fell gehüllt war. Mattes, stinkendes, braunes Fell. Er tappte auf den Hinterpfoten auf mich zu, wurde größer, bis er turmhoch über mir aufragte. Er schlug mit der Tatze, und ich sah Krallen aufblitzen. Dann fiel er auf alle viere, steckte seine nasse, schwarze Nase in mein Gesicht und brüllte – ein wütender, hallender Laut. Er hatte sich in einen Grizzlybären verwandelt.
In meiner Angst stolperte ich zurück und fiel hin. Ich kroch rückwärts, tastete blind am Straßenrand nach einem Stein. Ich nahm einen in die Hand und warf ihn nach dem Bären. Er traf ihn an der Schulter und prallte ab. Ich griff noch einen Stein, zielte auf seinen Kopf. Der Stein flog ihm ins Maul, und er drehte den Kopf zur Seite, wobei ihm Speichel von der Schnauze troff. Er brüllte wieder, und dann kam er schneller auf mich zu, als ich rückwärtskriechen konnte.
Mit seiner Pfote presste er mich auf den Asphalt. Er presste zu fest; meine Rippen knackten schmerzhaft.
»Halt!« Ich versuchte, seine Pfote wegzuschieben, aber er war viel zu stark. Ich wusste nicht, ob er mich hören konnte. Oder verstehen. Ich
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