Rette mich
wusste nicht, ob noch irgendetwas von Gabe in dem Bären war. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich etwas so unerklärlich Schreckliches miterlebt.
Wind kam auf, verhedderte mir das Haar über dem Gesicht. Durch die Strähnen hindurch sah ich, wie der Wind den Pelz des Bären mit sich in die Nacht nahm. Kleine Flocken schwebten hoch. Als ich wieder hinsah, war es Gabe, der über mir lehnte. Sein sadistisches Grinsen besagte: Du bist meine Marionette. Vergiss das nicht.
Ich war mir nicht sicher, was mir mehr Angst machte: Gabe oder der Bär.
»Steh auf«, sagte er und zog mich auf die Füße.
Er schob mich die Straße entlang zurück, bis die Lichter des Supermarkts in Sicht kamen. Meine Gedanken rasten. Hatte er mich – hypnotisiert? Mich glauben gemacht, dass er sich in einen Bären verwandeln konnte? Gab es irgendeine andere Erklärung? Ich wusste, ich musste irgendwie von hier wegkommen und Hilfe holen, aber ich hatte noch nicht herausgefunden, wie .
Wir gingen um das Gebäude herum in die Gasse, wo die anderen versammelt waren.
Zwei trugen Straßenkleidung, ähnlich wie Gabe. Der dritte trug ein limonengrünes Polohemd, auf dessen Brusttasche 7 ELEVEN und der Name B.J. eingestickt waren.
B.J. lag auf den Knien, hielt sich die Rippen und wimmerte. Seine Augen waren zugekniffen, und Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. Einer von Gabes Freunden – er trug einen übergroßen Kapuzenpulli – stand mit einem Montierhebel über B.J. , hielt ihn hoch und war bereit, ihn – vermutlich wieder – damit zu schlagen.
Mein Mund wurde trocken, und meine Beine kamen mir vor wie aus Stroh. Ich konnte meine Augen nicht von dem dunkelroten Fleck abwenden, der durch den mittleren Teil von B.J. s Hemd sickerte.
»Ihr tut ihm weh«, sagte ich fassungslos.
Gabe streckte die Hand nach dem Montierhebel aus und bekam ihn sofort ausgehändigt.
»Du meinst das hier?«, fragte er mit vorgetäuschter Aufrichtigkeit.
Er schwang den Montierhebel auf B.J. s Rücken, und ich hörte ein groteskes Knirschen. B.J. schrie auf, fiel auf die Seite und krümmte sich vor Schmerz.
Gabe legte sich den Montierhebel über die Schultern und hängte seine Arme darüber, als wäre es ein Baseballschläger. »Homerun!«, brüllte er.
Die anderen beiden lachten. Mir war schwindelig, so sehr wollte ich mich übergeben.
»Nehmt doch einfach das Geld!«, sagte ich, und meine Stimme wurde zum Schrei. Das hier war eindeutig ein Raubüberfall, aber sie gingen ein paar Schritte zu weit. »Wenn ihr ihn weiter schlagt, bringt ihr ihn um!«
Ein Kichern ging durch die Gruppe, so als wüssten sie etwas, das ich nicht wusste.
»Ihn umbringen? Unwahrscheinlich«, sagte Gabe.
»Er blutet jetzt schon stark!«
Gabe zuckte gleichgültig mit den Schultern. Und da wusste ich, dass er nicht grausam war, sondern wahnsinnig. »Er wird heilen.«
»Nicht, wenn er nicht bald ins Krankenhaus kommt.«
Gabe benutzte seinen Schuh, um B.J. anzustoßen, der sich umgedreht hatte und mit der Stirn auf der Betonplatte lag, die sich vor dem Hintereingang erstreckte. Sein ganzer Körper zitterte, und ich hatte den Eindruck, er würde demnächst in einen Schockzustand geraten.
»Hast du sie gehört?«, schrie Gabe auf B.J. herunter. »Du musst ins Krankenhaus. Ich werde dich selbst dorthin fahren und dich vor der Notfallaufnahme ablegen. Aber erst musst du es sagen. Schwöre den Eid.«
Mit großer Anstrengung hob B.J. den Kopf und starrte Gabe vernichtend an. Er öffnete den Mund, und ich dachte, er würde jetzt fragen, was sie alle von ihm wollten, aber stattdessen spuckte er aus und traf Gabe am Bein. »Ihr könnt mich nicht töten«, höhnte er, aber seine Zähne klapperten, und seine Augen rollten zurück, bis das Weiße zu sehen war, was klar zeigte, dass er einer Ohnmacht nahe war. »Die – Schwarze – Hand – hat – es – mir – gesagt.«
»Falsche Antwort«, sagte Gabe, warf den Hebel in die Luft und fing ihn wie einen Stab auf. Als er mit dem Trick fertig war, hieb er den Hebel in einem gewalttätigen Schwung nach unten. Das Metall schmetterte auf B.J. s Wirbelsäule, woraufhin sich dieser mit einem Ruck kerzengerade aufrichtete und in haarsträubendes Geheul ausbrach.
Ich schlug beide Hände vor den Mund, gelähmt vor Entsetzen. Entsetzen sowohl über den grausamen Anblick, der sich mir bot, als auch über das Wort, das in meinem Kopf schrie. Es war, als hätte sich das Wort tief aus meinem Unterbewusstsein losgerissen und mich frontal
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