Rette mich
deckst du sie wirklich?« Vielleicht hatte Jev Recht, und Dominic und Jeremiah würden sich gegen die Polizei zur Wehr setzen. Vielleicht würde es in einem Blutbad enden. Aber war dieses Risiko nicht besser, als sie laufen zu lassen?
Jevs Augen waren fest auf die Dunkelheit hinter der Windschutzscheibe gerichtet. »Weil ich einer von ihnen bin.«
Ich schüttelte sofort den Kopf. »Du bist nicht wie die. Die hätten mich umgebracht. Du bist meinetwegen zurückgekommen. Du hast Gabe aufgehalten.«
Anstatt mir zu antworten, hangelte er sich aus dem Tahoe und kam auf meine Seite herüber. Er riss meine Tür auf und zeigte in die Nacht hinaus. »Geh in diese Richtung in die Stadt. Wenn dein Handy nicht funktioniert, geh weiter, bis die Bäume aufhören. Früher oder später hast du Empfang.«
»Ich hab mein Handy nicht dabei.«
Er schwieg nur einen Herzschlag lang. »Dann bitte an der Rezeption um ein Telefon, sobald du zur Whitetail Lodge kommst. Von da aus kannst du zu Hause anrufen.«
Ich stieg aus. »Danke, dass du mich vor Gabe gerettet hast. Und danke fürs Mitnehmen«, sagte ich höflich. »Aber für zukünftige Verwendung: Ich lasse mich ungern anlügen. Ich weiß, es gibt vieles, was du mir nicht sagst. Vielleicht meinst du, ich hätte es nicht verdient, alles zu wissen. Vielleicht denkst du, dass du mich ja kaum kennst und dass ich den Ärger nicht wert bin. Aber nach allem, was ich gerade durchgemacht habe, denke ich schon, dass ich mir ein Recht auf die Wahrheit verdient habe.«
Zu meiner Überraschung nickte er. Nicht bereitwillig; es war eher ein widerwilliges Senken des Kopfes, als wollte er sagen: Na gut . »Ich schütze sie, weil ich es muss. Wenn die Polizei sie auf frischer Tat ertappt, würde das unsere Deckung auffliegen lassen. Diese Stadt ist noch nicht reif für Dominic, Jeremiah oder irgendwen sonst von uns.« Er blickte mich an, sein rasiermesserscharfer Blick wurde weich, samtig schwarz. Es lag etwas so Verzehrendes in der Art, wie seine Augen mich musterten, dass ich seinen Blick beinahe spürte wie eine echte Berührung. »Und ich bin noch nicht bereit, die Stadt zu verlassen«, murmelte er, während sein Blick immer noch meinen festhielt.
Er trat näher, und ich spürte, wie sich mein Atem etwas beschleunigte. Seine Haut war dunkler als meine, rauer. Seine Züge waren nicht weich genug, um hübsch zu sein. Alles an ihm war scharf, klar definiert. Und sagte mir, dass er anders war. Nicht nur anders als jeder Junge, den ich je kennengelernt hatte, sondern etwas vollkommen anderes. Ich klammerte mich an das seltsame neue Wort, das mich die ganze Nacht begleitet hatte. »Bist du ein Nephilim?«
Er schreckte zurück, beinahe schockiert. Der gesamte Augenblick fiel in sich zusammen. »Geh nach Hause und mach weiter mit deinem Leben«, sagte er. »Tu es, und du bist in Sicherheit.«
Bei dieser unverblümten Abfuhr fühlte ich, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Er sah sie und schüttelte bedauernd den Kopf. »Sieh mal, Nora«, versuchte er es noch einmal und legte mir die Hände auf die Schultern.
Ich versteifte mich in seiner Umarmung. »Woher kennst du meinen Namen?«
Der Mond brach kurz durch die Wolken, und ich konnte einen Moment lang seine Augen sehen. Der weiche Samt war verschwunden, war ausgetauscht gegen hartes und verschlossenes Schwarz. Seine Augen waren Augen, die Geheimnisse bargen. Die Art Augen, die logen, ohne zu zögern. Die Art, von denen man den Blick nicht abwenden konnte, wenn man einmal hineingesehen hatte.
Wir waren beide erhitzt von der Anstrengung unserer Flucht, und zwischen uns hing, wie ich annahm, der Duft seines Duschgels. Ein leiser Hauch von Minze und schwarzem Pfeffer, und die Erinnerung daran brauste so schnell durch mich hindurch, dass mir schwindelig wurde. Ich konnte die Erinnerung nicht zurückverfolgen, aber ich kannte den Geruch. Und was noch beunruhigender war, ich wusste, dass ich Jev kannte. Auf irgendeine Weise – eine vielleicht belanglose, vielleicht aber auch ganz andere, größere und daher viel verwirrendere Weise – war Jev ein Teil meines Lebens gewesen. Es gab keine andere Erklärung für diese einschneidenden Flashbacks, die über mich kamen, wenn ich ihm nahe war.
Mir ging der Gedanke durch den Kopf, dass er vielleicht mein Entführer war, aber die Idee hatte nicht viel Überzeugungskraft. Ich glaubte es nicht. Vielleicht, weil ich es nicht wollte.
»Wir haben uns gekannt, oder?«, sagte ich, und meine Arme und Beine
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