Rette mich
kurz die Augen, betete, dass er sich berichtigen würde. Betete, dass er die Worte »nicht sterben können« im übertragenen Sinne gemeint hatte. Betete, dass er mir jetzt gleich erklären würde, dass er zu diesem ausgeklügelten Schwindel gehörte, der gestern Abend begonnen hatte, mit Gabe. Ein Riesenwitz, auf meine Kosten.
Aber die Wahrheit war da, rührte sich an diesem schlammigen Ort, wo früher meine Erinnerung einmal vollständig gewesen war. Ich konnte es nicht vernünftig begründen, aber ich konnte es spüren. In mir. Wie es in meiner Brust brannte. Scott hatte sich das nicht ausgedacht.
»Was ich wissen will, ist, warum du dich an nichts hiervon erinnern kannst«, sagte er. »Ich dachte, Gedächtnisverlust wäre nicht permanent. Also?«
»Ich weiß nicht, warum ich mich nicht erinnern kann!«, fuhr ich ihn an. »Okay? Ich weiß es nicht! Ich bin vor ein paar Nächten mit nichts auf dem Friedhof aufgewacht. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, wie ich da hingekommen bin.« Ich weiß nicht, warum ich den plötzlichen Drang verspürte, Scott alles zu erzählen, aber so war es. Meine Nase fing an zu laufen, und ich fühlte, wie Tränen in meine Augen traten. »Die Polizei hat mich mitgenommen und ins Krankenhaus gebracht. Sie haben gesagt, ich wäre seit beinahe drei Monaten verschwunden gewesen. Sie haben gesagt, dass ich den Gedächtnisverlust habe, weil mein Bewusstsein ein Trauma blockiert, um mich davor zu schützen. Aber willst du wissen, was verrückt ist? Ich fange an zu denken, dass ich überhaupt nichts blockiere. Ich habe einen Zettel bekommen. Jemand ist in mein Haus eingebrochen und hat ihn auf meinem Kissen hinterlassen. Darauf stand, dass ich, obwohl ich zu Hause bin, nicht in Sicherheit bin. Da steckt mehr dahinter. Die wissen was, was ich nicht weiß. Die wissen, was mit mir passiert ist.«
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich zu viel preisgegeben hatte. Ich hatte keinen Beweis dafür, dass der Zettel existiert hatte. Schlimmer noch, die Logik bewies, dass es ihn nie gegeben hatte. Aber wenn der Zettel ein Fantasiegebilde war, warum verblasste der Gedanke daran nicht? Warum konnte ich nicht akzeptieren, dass ich ihn erfunden, ausgedacht oder halluziniert hatte?
Scott beobachtete mich stirnrunzelnd. »Die?«
Ich breitete die Arme aus. »Vergiss es.«
»Stand sonst noch was auf dem Zettel?«
»Ich hab gesagt, lass es. Hast du ein Taschentuch?« Ich konnte spüren, wie die Haut unter meinen Augen anschwoll, und es war längst zu spät, als dass meine Nase nur durch hochziehen trocken geblieben wäre. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, liefen jetzt auch noch zwei Tränen meine Wange hinunter.
»Hey«, sagte Scott sanft und nahm mich bei den Schultern. »Es kommt schon in Ordnung. Nicht weinen, okay? Ich bin auf deiner Seite. Ich helfe dir, aus dem Schlamassel rauszukommen.« Als ich keinen Widerstand leistete, zog er mich an seine Brust und klopfte mir auf den Rücken. Ungeschickt zuerst, aber dann fand er einen tröstenden Rhythmus. »In der Nacht, als du verschwunden bist, bin ich untergetaucht. Es ist nicht sicher hier für mich, aber als ich in den Nachrichten gesehen habe, dass du zurück bist und dich an nichts erinnern kannst, musste ich aus meinem Versteck kommen. Ich musste dich finden. Das schulde ich dir.«
Ich wusste, ich sollte mich von ihm lösen. Nur, weil ich Scott glauben wollte, hieß das nicht, dass ich ihm völlig vertrauen sollte. Oder unachtsam werden. Aber ich hatte genug davon, Mauern zu errichten, und gab meine Abwehr auf. Ich konnte mich nicht erinnern, wann es sich das letzte Mal so gut angefühlt hatte, einfach nur gehalten zu werden. In seiner Umarmung konnte ich beinahe glauben, dass ich nicht allein war. Scott hatte versprochen, dass wir es gemeinsam durchstehen würden, und auch das wollte ich ihm glauben.
Und außerdem kannte er mich. Er war eine Verbindung zu meiner Vergangenheit, und das bedeutete mir mehr, als ich in Worte fassen konnte. Nach so vielen entmutigenden Versuchen, mich an irgendein Bruchstück zu erinnern, das mir mein Gedächtnis gnädigerweise zuwerfen wollte, war er einfach so aufgetaucht, ohne dass ich etwas dazugetan hatte. Das war mehr, als ich erhofft hatte.
Ich wischte mir die Augen mit dem Ärmel ab und sagte: »Warum ist es hier nicht sicher für dich?«
»Die Schwarze Hand ist hier.« Und als würde er sich erinnern, dass der Name mir nichts bedeutete, setzte er hinzu: »Nur damit wir uns darüber im
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