Rettende Engel (German Edition)
weibliche Stimme: „Kaha Fischer? Kommissar Fischer? Was können Sie uns über den Fall erzählen? Stimmt es, dass die Kinder völlig verwahrlost waren?”
„Wissen Sie schon, wer der Täter ist?”, wollte ein Mann wissen.
Ehe die beiden wussten, wie ihnen geschah, waren sie von Reportern umlagert, die ihnen Mikrofone entgegenreckten und sie mit Fragen überschütteten.
„Kein Kommentar”, sagte Chris und ging weiter.
Kaha sagte gar nichts, schob die Personen, die ihm im Weg waren, zur Seite und zeigte dem Uniformierten, der im Inneren des Gebäudes hinter der Glastür zu sehen war, seinen Dienstausweis.
Der Polizist öffnete ihnen die Tür und sagte: „Kommt rein Kollegen.” Dann verzog er das Gesicht. „Ich bin abkommandiert worden, um die Meute in Schach zu halten. Man hat ja sonst nichts zu tun.”
Zu Kahas Enttäuschung war Sandra Reichert nicht im Haus, aber die Leiterin des Amts, Irene Wolf, hatte Zeit für sie. Ihr Büro am Ende des Gangs war gerade groß genug für ihren Schreibtisch, ihren Stuhl dahinter, zwei Stühle davor, auf denen Kaha und Chris Platz nahmen, sowie riesige Regale, die die gesamte linke Wand einnahmen und in denen eine Menge Akten und einige Bücher und Gesetzessammlungen Platz gefunden hatten.
Kahas Blick fiel auf die Verbindungstür zum angrenzenden Raum, die die Regalwand unterbrach. Eine Sicherheitsmaßnahme, wie er wusste. Sie sollte eine Fluchtmöglichkeit bieten, falls Mitarbeiter, zum Beispiel von einem zornigen oder gar bewaffneten Vater angegriffen würden, der den Ausgang zum Flur kontrollierte.
Irene Wolf war um die fünfzig und ihr Haar trug sie in einer praktischen Kurzhaarfrisur. Sie blätterte in den Akten. „Ich musste mich auch erst wieder mit dem Vorgang vertraut machen. Zu Ihren Fragen: Eine Nachbarin aus dem Haus hat wegen Rena Karst und ihren Kindern mehrmals bei uns angerufen. Zweimal, um genau zu sein. Dann haben wir hier noch Anfragen der Großeltern und einige anonyme Anrufe. Es sah aber alles gut aus bei den angemeldeten Besuchen. Leider ist der zuständige Kollege gerade im Urlaub.”
Chris riss seinen Blick von den bunten Kinderzeichnungen los, die einen Teil der Wand schmückten. „Wie kann ‚alles gut ausgesehen haben’? War der Kollege mal im Kinderzimmer? Hat er sich die Kleinen angesehen? Und wieso waren die Besuche ‚angemeldet’?”
„So gehen wir üblicherweise vor. Aus Respekt. Ihnen wäre es auch nicht recht, wenn jemand vom Amt überraschend bei Ihnen auftaucht.”
„Bei mir gibt es auch keinen Anlass”, sagte Chris empört.
„Wir haben eine Menge Erfolge mit unserer Vorgehensweise”, gab Irene Wolf spitz zurück. „Über die berichtet nur keiner.” Sie holte tief Luft und sah erst Chris, dann Kaha an. „Würden wir gerne manchmal mehr tun? Vielleicht. Oder etwas anders machen? Auch das. Aber wir arbeiten innerhalb genau definierter rechtlicher Grenzen.”
„Rechtliche Grenzen. Na klar”, unterbrach Chris sie. „Da kann man sich prima hinter verstecken.” Er hieb mit der Faust auf den Tisch. „Aber es geht hier um Kinderleben.”
Erstaunt zog Kaha die Augenbrauen hoch und legte seinem Kollegen beruhigend die Hand auf die Schulter. Dann wandte er sich Irene Wolf zu. „Was mein Kollege meint, ist: Können Sie uns noch etwas konkreter über den Fall erzählen? Wie konnte das so schieflaufen?”
Die Leiterin des Jungendamts setzte sich betont aufrecht hin. Ihre Augen blitzten zornig. „Jetzt platzt mir aber der Kragen. Wissen Sie was? Gegenüber der Öffentlichkeit, wie den Leuten da draußen, muss ich die Dinge immer beschönigen. Ich darf ja meinem Arbeitgeber nicht in den Rücken fallen. Aber lassen Sie uns mal Tacheles reden. Wir agieren hier innerhalb sehr enger gesetzlicher und finanzieller Grenzen. Ich verwalte, wie es so schön heißt, einen Mangel. Ich kann die Mitarbeiterinnen, die ich tatsächlich bräuchte, nicht einstellen, weil mir das Geld fehlt. Wir können manche Maßnahmen nicht durchführen, erraten, weil das Geld fehlt. Oder weil ein Gericht sie sofort wieder kassieren würde.”
„Aber der Zustand von Kindern wie denen von Rena Karst ist doch nicht etwas, das man so einfach hinnehmen kann. Fehlende Stellen hin oder her”, sagte Chris – jedoch in einem etwas ruhigeren Ton.
„Moment, ich bin noch nicht fertig”, antwortete Irene Wolf. „Lassen Sie mich konkret werden. Ich habe hier Mitarbeiterinnen, vier, um genau zu sein, die so engagiert sind, dass sie sich je mit einer
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