Rettende Engel (German Edition)
halben Stelle begnügen, aber im Grunde voll arbeiten. Weil sie natürlich, wie die meisten von uns, das Elend nicht mitansehen können und helfen wollen.”
„Aber offensichtlich hat das den Kindern von Rena Karst nichts genützt”, sagte Chris. Er hatte sich in diesen Fall verbissen und ließ nicht locker.
„Sie klingen wie eine kaputte Schallplatte. Man merkt, dass Sie keine Ahnung haben, wovon Sie reden.” Irene Wolf wedelte mit der Akte vor seinem Gesicht herum. Dann schlug sie sie wieder auf und blätterte darin. „Wissen Sie, wie es den Kindern ginge, wenn wir uns überhaupt nicht um die Familie gekümmert hätten? Wissen Sie nicht. Natürlich wäre es die beste Lösung gewesen, die Großeltern hätten Miriam und Tim bei sich aufgenommen. Zumindest vorübergehend. Aber das Gericht sah das anders. Wäre es besser gewesen, wir hätten Rena Karst mehr psychologische Hilfe anbieten können? Und eine Suchttherapie, die sie akzeptiert und die bei ihr funktioniert? Und mit der sie sofort hätte beginnen können? Ja, klar. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Ich kann mir Sozialarbeiter, Therapeuten und Heimplätze nicht aus den Rippen schneiden.”
Erschöpft hielt sie inne. Ihr Gesicht war rot angelaufen. Kaha und Chris schwiegen.
In dem Moment klopfte es. Irene Wolf sagte: „Herein” und Sandra Reichert betrat das Büro.
13
Leider hatte Sandra schlechte Nachrichten. Von Miriam würden Kaha und Chris nichts erfahren. Sie hatte seit der Nacht noch kein einziges Wort gesprochen. Und der knapp zweijährige Tim sprach zwar, aber sein Wortschatz beschränkte sich offenbar auf „Mama” und „Mimi” (was Miriam bedeutete).
„Ich denke, es ist das Beste für die beiden”, sagte Irene Wolf, „wenn wir sie so schnell wie möglich den Großeltern übergeben.”
„So sehe ich das auch”, stimmte Sandra ihr zu.
Kaha runzelte die Stirn. „Nicht so schnell. Mir wäre wohler, wenn die Kinder unter Ihrer Aufsicht bleiben, bis wir wissen, wer Rena Karst ermordet hat.”
„Doch sicher nicht die Eltern, also die Großeltern von Miriam und Tim”, sagte Sandra erstaunt.
„Vermutlich nicht. Aber wir müssen alle Eventualitäten bedenken”, sprang Chris seinem Kollegen bei. „Außerdem wäre es besser, wenn Miriam als mögliche Zeugin sozusagen in einer kontrollierten, neutralen Umgebung bleibt, jedenfalls so lange, bis der Mord geklärt ist.”
„Worauf warten Sie dann noch?”, fragte Irene Wolf. „Na, los, dann lösen Sie mal den Fall – und zwar pronto.”
„Ich überlege”, sagte Kaha langsam, als sie im Flur vor Irene Wolfs Büro standen, „ob ich einmal versuchen soll, mit Miriam zu reden? Ich würde mir gerne selbst ein Bild von dem Mädchen machen.”
„Also ich muss nach Hause. Mein Mädchen, Lena, hat eine Theateraufführung in der Schule.” Chris lächelte stolz. „Sie spielt ein Häschen oder so.”
Kaha klopfte seinem Kollegen auf die Schulter. „Viel Spaß. Und sag Lena von mir: toi, toi, toi.”
Kaha hatte Sandra Reichert überredet, ihn zum Kinderheim zu begleiten und ihn Miriam vorzustellen. Jetzt saßen sie in seinem alten BMW und quälten sich durch den nachmittäglichen Berufsverkehr.
„Ich bin damit noch nicht fertig”, sagte Sandra. „Herr Neumann, also der Vater von Rena Karst, würde doch nicht seine eigene Tochter töten.”
Sie schüttelte den Kopf. „Und selbst Sie können doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass Renas Mutter etwas mit dem Mord zu tun hat. Also echt.”
Kaha drückte kräftig auf die Hupe, weil der Vordermann bei Grün nicht schnell genug anfuhr. Dann sagte er: „Ich habe es mir abgewöhnt, von irgendwas auszugehen. Ich habe schon Dinge gesehen, da machst du dir keinen Begriff von.” Er zögerte kurz. „Wollen wir uns nicht duzen? Irgendwie sind wir ja Kollegen.”
In seinem Blick lag eine Spur von Unsicherheit, als er zu Sandra hinüberschaute.
Die schien das nicht zu bemerken und sagte: „Klar. Ich heiße Sandra. Aber das weißt du ja schon.”
„Kaha”, sagte Kaha. Und fügte gleich hinzu: „Ich habe zu viele wirklich schlimme Dinge gesehen, um irgendjemanden von vornherein für unschuldig zu halten. Du siehst vermutlich immer das Gute in den Menschen. Bei deinem Beruf.”
Sandra lachte kurz auf, doch es klang bitter, nicht fröhlich. „Also da liegst du so was von falsch.”
Für einen kurzen Moment hingen beide ihren eigenen Gedanken nach. Kaha bog rechts ab. In der Seitenstraße floss der Verkehr
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