Rettende Engel (German Edition)
zügiger.
„Arbeitest du auch mit älteren Kindern und Jugendlichen?”, fragte er, schaute jedoch konzentriert geradeaus.
„Natürlich”, antwortete Sandra.
Kaha zögerte kurz. Er dachte an Cem.
„Und woher weißt du, ob die deine Hilfe verdienen? Ob da nicht kleine Kriminelle drunter sind, die dich über den Tisch ziehen wollen?”, fragte er schließlich.
Sandra lachte. „Da spricht ganz klar der Polizist aus dir. Ich gehe immer davon aus, dass jedes Kind meine Hilfe verdient.”
14
Das neue Zuhause von Miriam und Tim erwies sich als das völlige Gegenteil ihres alten. Das Zimmer war hell und aufgeräumt. „Und es riecht eindeutig besser hier”, sagte Kaha und grinste.
„Wir haben gedacht, wir lassen die beiden zusammen in einem eigenen Zimmer, um die Eingewöhnung zu erleichtern”, sagte die etwa 40-jährige Erzieherin Susanne Schneider. Sie nickte Sandra zu. „Sie kennen sich ja aus”, sagte sie und verließ leise den Raum.
Miriam und Tim saßen auf niedrigen Stühlchen an einem Kindertisch. Vor Tim lag ein aufgeschlagenes Bilderbuch. Offenbar hatte jemand daraus vorgelesen. Miriam hatte kurz aufgeblickt und malte jetzt wieder konzentriert an einem Bild.
„Hallo Miriam, hallo Tim”, sagte Kaha ruhig und zwängte sich auf einen für ihn viel zu kleinen Stuhl.
Sandra grinste und setzte sich graziös auf den vierten Stuhl. Sie hatte offensichtlich Übung darin.
„Ich heiße Kaha. Erinnert ihr euch an mich? Wie geht es euch denn hier, Miriam? Gefällt es euch?”, fragte Kaha.
Miriam beachtete ihn nicht und malte unbeirrt weiter.
Sandra öffnete ihre Umhängetasche, die aus roter LKW-Plane gefertigt war, und zog einen Packen buntes Origami-Papier hervor. Sie legte ihn mitten auf den Tisch. Ruhig nahm sie ein quadratisches grünes Blatt und faltete einen Frosch. Tim sah ihr staunend zu.
„Hier, Tim. Das ist ein Frosch.” Sandra hielt ihm ihr Werk in der geöffneten Hand hin.
„Fosch”, sagte Tim. „Fosch.” Seine Augen glänzten. Vorsichtig ergriff er den Frosch an einem Bein und betrachtete ihn von allen Seiten.
„Wisst ihr denn auch, wie der Frosch macht?” Erwartungsvoll blickte Sandra von Tim zu Miriam.
Tim schüttelte den Kopf. Miriam schaute zwar nicht auf, aber die Hand mit dem Stift verharrte in der Bewegung.
„Der Frosch macht quak”, half Kaha. „Quak, quak.” Vorsichtig nahm er Tim den Frosch aus der Hand. Er ließ das Papiertier über den Tisch hüpfen. „Quak, quak, quak.”
Währenddessen hatte Sandra einen weiteren grünen Frosch gefaltet. Sie stellte ihn so auf dem Malpapier ab, dass er Miriam ansah. „Bitte, Miriam. Der ist für dich.”
Miriam zog das Tier zu sich heran. Ihr Blick ruhte jedoch sehnsüchtig auf dem Stapel mit dem Origami-Papier.
„Sollen wir noch ein Tier falten?”, fragte Sandra.
Keine Reaktion.
„Kaha, warum liest du Tim nicht aus dem Buch vor? Und Miriam und ich falten einen Kranich”, sagte Sandra. „Das ist ein Vogel.” Die letzten Worte richtete sie wieder an das Mädchen.
„Soll ich dir zeigen, wie man einen Kranich faltet?”, fragte Sandra und schaute Miriam an. Endlich wandte das Mädchen sich Sandra zu. Es nickte. Erst zögernd, dann mit mehr Nachdruck.
Und so falteten Sandra und Miriam zuerst jede einen weißen Kranich, dann noch einen Frosch, eine Schlange und schließlich eine Blüte.
Währenddessen las Kaha Tim ein Buch über einen kleinen Bären vor, der in den Kindergarten ging. Dann eines über einen kleinen Hasen, der nicht schlafen wollte. Und dann eines über Baustellen, Bagger und einen Kran.
Obwohl er seine Beine immer wieder umlagern musste, damit sie nicht verkrampften, fühlte Kaha sich entspannt. Er genoss die ruhige Atmosphäre, die Vertrautheit, mit der Tim, der inzwischen auf seinem Schoß saß, sich an ihn schmiegte, und den Anblick von Sandra und Miriam, die über ihrer Bastelarbeit die Köpfe zusammensteckten.
Leider sprach Miriam immer noch nicht. Sie war ein wenig aufgetaut, reagierte auch, wenn Sandra sie – sehr geschickt, wie er fand – ansprach. Aber das Mädchen blieb stumm.
Hatte sie etwas Schreckliches gesehen, das sie so nachhaltig verstörte? Den Mord an ihrer Mutter? Vielleicht sogar den Täter erkannt?
„Miriam”, brach es aus Kaha heraus. „Hast du gestern Nacht etwas gesehen, als du am Fenster gestanden hast?”
Wenn Blicke töten könnten … Gereizt sah Sandra Kaha an.
Miriam war zusammengezuckt. Sie ließ das Blatt Papier, das schon halb die Gestalt
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