Retter eines Planeten - 16
wußte ich, daß wir hier nicht bleiben konnten. Dieser Platz war Angriffen viel zu leicht zugänglich, und in unserem gegenwärtigen Zustand hätten die Waldmänner mit uns zu leichtes Spiel gehabt. Wenn wir sofort aufbrechen würden, konnten wir noch heute in die Nähe des Dämmerung kommen. Natürlich mußten wir uns tüchtig dranhalten. Morgen konnten wir dann schon frühzeitig den Paß überschreiten, ehe die Sonne den Schnee aufweichte und Schneebretter und Lawinen verursachte. Jenseits des Dämmerung kannte ich die Stämme und konnte mich in ihrer Sprache verständigen.
Das erklärte ich Kendricks, der Kyla einen zweifelnden Blick zuwarf. „Kann sie denn klettern?“ fragte er.
„Kann sie hierbleiben?“ entgegnete ich. Aber ich setzte mich nun neben sie. „Sag mal, Kyla, wie schwer bist du eigentlich verletzt? Glaubst du, wir können uns wieder auf den Weg machen?“
„Natürlich kann ich klettern!“ fauchte sie wütend. „Ich sage dir, ich bin kein schwaches Weib, ich bin eine freie Amazone!“ Sie warf die Decken ab, die jemand fest um ihre Beine gelegt hatte. Ihr Mund sah ein wenig verkniffen aus, aber als sie zürn Feuer ging und noch Suppe verlangte, war ihr Schritt sicher und ruhig.
Wenige Minuten später hatten wir das Lager aufgelöst. Die Waldfrauenbande hatte alles, was irgendwie erreichbar herumgelegen hatte, mitgenommen, und es hatte wenig Sinn, das Zelt abzubrechen. Sie würden zurückkommen und es ausschlachten. Kamen wir dann später mit einer Eskorte von Waldmännern zurück, dann brauchten wir es sowieso nicht. Ich gab also Anweisung, nur das mitzunehmen, was unbedingt nötig war, und prüfte jeden einzelnen Rucksack nach. Für den Paß brauchten wir die Nachtrationen, ein paar Decken, Seile und Sonnenbrillen. Alles übrige mußte zurückbleiben.
Der Weiterweg war äußerst beschwerlich. Die Sonne schickte sich zum Untergehen an, und der Wind blies eisig. Fast jeder von uns hatte irgendeine Verletzung. Manche waren nicht schwer, aber sie hinderten beim Klettern. Kyla war blaß und sah schrecklich angestrengt aus, schonte sich aber nicht. Kendricks litt an der Bergkrankheit, und das war in dieser Höhe kein Wunder. Ich half ihm, so gut ich konnte, aber mit meiner verletzten Hand hatte ich es selbst nicht besonders leicht.
Eine Strecke war reinste Felskletterei. Wie Käfer drückten wir uns an die fast senkrechte Wand und tasteten nach Handgriffen und kleinen Tritten für die Fußspitzen. Für mich war es Ehrensache, weiter zu führen, und ich führte. Als wir aber die zehn oder zwölf Meter hohe senkrechte Wand hinter uns hatten und eine fußbreite Traverse überquerten, um wieder auf unseren Pfad zu stoßen, war ich nahe daran, doch aufzugeben. Auf dem Band drückte sich Lerrys an mir vorbei, dem ich die Führung übergab, weil er als erfahrener Bergsteiger besser war als mancher Berufsführer.
„Ich dachte, du hast gesagt, es sei ein Pfad“, murrte er.
Ich versuchte zu grinsen, doch es wurde nur eine Grimasse. „Für die Waldmänner ist es eine Autobahn. Und kein anderer kommt doch in diese Gegend!“
Bald hatten wir die Schneegrenze erreicht. Ein- oder zweimal kämpften wir uns durch Schneewehen, und einmal löschte für zwanzig Minuten ein schauerlicher Schneesturm jede Sicht aus. Wir klammerten uns aneinander und drängten uns an die Felswand, um uns so gut wie möglich vor dem Wind und den eisigen Graupeln zu schützen.
In einer fast ganz schneefreien Felsspalte, ein gutes Stück oberhalb der Baumgrenze, wo es nur dürftiges Dornbuschdickicht gab, machten wir Biwak. Wir rissen soviel wie möglich Buschwerk aus, häuften es zu einem Windschutz auf und bereiteten daneben unser Lager. Wir bedauerten alle unendlich, daß wir unsere ganze Lagerausrüstung hatten zurücklassen müssen. Diese Nacht blieb mir als eine der miserabelsten meines ganzen Lebens in unauslöschlicher Erinnerung. Die Höhe allein machte mir wenig aus, und das bißchen Ohrensausen hätte mich nicht gestört. Den anderen ging es wesentlich schlechter als mir. Die meisten hatten quälende Kopfschmerzen, die sie fast blind machten. Kyla mußte heftige Schmerzen haben, und Kendricks litt unter der Höhenkrankheit in ihrer schlimmsten Form. Er hatte schreckliche Krämpfe und Brechanfälle, die den tapfersten Mann demoralisieren mußten. Ich fühlte mich verzweifelt unbehaglich, weil ich ihnen nicht helfen konnte, denn die einzig mögliche Kur gegen Bergkrankheit ist Sauerstoff oder das Verlassen der Hochregion.
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