Retter eines Planeten - 16
die Waldgrenze erreicht. Wir kamen nun rasch vorwärts, hatten alle Müdigkeit vergessen und wollten nur vor Einbruch der Nacht die Stadt erreichen. Im Wald herrschte Stille, eine fast merkwürdige Stille. Über unseren Köpfen verliefen irgendwo in den dichten, ineinander verzweigten Wipfeln der Bäume kreuz und quer die Baumstraßen. Hier war es oft fast dämmrig dunkel, weil kein Sonnenstrahl durch das dichte Blattwerk fiel. Manchmal war ein Rascheln zu vernehmen, ein Geräusch, eine Stimme, ein paar Töne eines Liedes.
„Hier ist es so entsetzlich dunkel, daß man unbedingt in den Baumwipfeln leben muß, oder man wird vor Lichtmangel blind“, stellte Rafe fest. Kendricks flüsterte mir zu: „Werden wir verfolgt? Werden sie auf ans herunterspringen?“
„Das glaube ich nicht. Was du hörst, das sind nur die Bewohner der Städte, die ihrer täglichen Arbeit nachgehen.“
„Komische Arbeit“, meinte Regis in einem Anflug von Neugier, und als wir über den moosigen, nadelbedeckten Waldboden gingen, erzählte ich ihm einiges aus dem Leben der Waldmänner. Meine Angst war spurlos verschwunden. Sollte uns jetzt jemand anfallen, dann konnte ich mich mit ihm in seiner Sprache verständigen, mich identifizieren, ihm erzählen, weswegen wir gekommen waren, meine Pflegeeltern benennen. Meine Zuversicht teilte sich anscheinend auch den anderen mit.
Aber als wir dann in ein Gebiet kamen, das mir schon ziemlich gut bekannt war, blieb ich plötzlich stehen und schlug mir mit der Hand an die Stirn. „Ich wußte doch, daß ich etwas vergessen habe! Ich war viel zu lange von hier weg. Kyla!“
„Was ist mit Kyla?“ Sie erklärte es selbst in ihrer alten, monotonen Sprechweise: „Ich bin eine einzelne Frau, die keinen Mann hat. Solche Frauen sind in den Nestern nicht zugelassen.“
„Das ist doch ganz einfach“, meinte Lerrys. „Sie muß eben zu einem von uns gehören.“
Mehr sagte er nicht. Niemand hätte es auch erwarten können. DarkovanerAdelige nehmen ihre Frauen nicht auf solche Expeditionen mit, und ihre Frauen haben keine Ähnlichkeit mit Kyla.
Die drei Brüder überboten einander mit Freiwilligenerklärungen, und Rafe machte einen unanständigen Vorschlag. Kyla funkelte ihn an, und dann kniff sie den Mund zu einem Strich zusammen — ob aus Zorn oder Enttäuschung war nicht zu erkennen. „Wenn ihr glaubt, ich brauche euren Schutz?“ „Kyla steht unter meinem Schutz!“ bestimmte ich entschieden. „Sie wird als meine Frau eingeführt und auch so behandelt.“
Rafe grinste boshaft. „Aha! Der Führer behält also das Beste für sich selbst!“ Mein Gesicht mußte etwas ausgedrückt haben, das mir selbst nicht bewußt war, denn Rafe zog sich langsam und vorsichtig von mir zurück. Ich zwang mich zur Ruhe und zu deutlichem, unmißverständlichem Sprechen: „Kyla ist Bergführerin und als solche unentbehrlich. Wenn mir etwas zustoßen sollte, ist sie diejenige, die euch zurückführen kann. Deshalb ist ihre Sicherheit meine persönliche Angelegenheit. Haben alle verstanden?“
Als wir dem Pfad noch weiter folgten, verschwand das vage grüne Licht völlig. „Jetzt sind wir unmittelbar unter der Stadt“, flüsterte ich und deutete nach oben. Um Uns herum ragten die hundert Bäume auf, astlose Säulen von so immenser Dicke, daß vier Männer sie mit ausgestreckten Armen nicht hätten umfassen können. Mehr als hundert Meter ragten sie in die Höhe, ehe sie ihre ineinander verflochtenen Äste ausstreckten, und darüber war nichts als nur Schwärze.
Aber der Wald war nicht dunkel, sondern erhellt von der erstaunlichen Leuchtkraft von Pilzkulturen, die an den Baumstämmen wuchsen und zu bizarren ornamentalen Formen zurechtgestutzt waren. In Käfigen aus durchsichtigen Fasern glühten Insekten von Handlänge, die leise vor sich hinsummten und zirpten.
Ein Waldmann, der bis auf einen winzigen Lendenschurz und einen geschmückten Hut völlig nackt war, kam einen Stamm herunter. Er ging von Käfig zu Käfig und fütterte die Glühwürmer mit kleinen Stückchen von Leuchtpilzen, die er in einem Korb an seinem Arm hatte.
Ich rief ihn in seiner Sprache an. Er ließ mit einem erschreckten Aufschrei seinen Korb fallen, und sein spinnendünner Körper duckte sich, um zu fliehen oder Alarm zu schlagen.
„Ich gehöre doch zum Nest!“ rief ich ihm zu und nannte ihm die Namen meiner Pflegeeltern. Er kam auf mich zu, griff mit langen, warmen Fingern nach meinem Arm und begrüßte mich.
„Jason? Ja, ich habe gehört, daß sie
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