Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
Finanzministerien für ihre Länder nationale Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie Reformprogramme, die sie im April der Kommission vorlegen. Bis zum Juni/Juli eines jeden Jahres formuliert die Kommission dann länderspezifische Handlungsempfehlungen für die einzelnen Mitglieder.
Der Kommission werden allerdings nicht die gesamten nationalen Haushalte vorgelegt, sondern nur die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme. Darauf legen die Staaten auch großen Wert, damit die nationalen Parlamente nicht übergangen werden. Zudem sind die länderspezifischen Empfehlungen nicht verbindlich, sie können umgesetzt werden oder auch nicht. Dies ist der Schwachpunkt der kooperativen Fiskalunion.
Das Musgrave-Modell
Man kann sich neben dem zentralen und dem kooperativen Modell der Fiskalunion noch ein drittes vorstellen. Ich möchte es das Musgrave-Modell nennen. Es basiert darauf, dass die Fiskalpolitik sehr unterschiedliche Funktionen erfüllt. Nach dem bekannten amerikanischen Ökonomen Richard Musgrave unterscheidet man drei Funktionen des öffentlichen Haushalts: die Stabilisierungs-, die Allokations- und die Distributionsfunktion. In der Stabilisierungsfunktion muss die öffentliche Hand dafür sorgen, dass die Konjunktur in geordneten Bahnen verläuft und es keine größeren Ungleichgewichte gibt. In der Allokationsfunktion hat der Finanzminister die notwendigen Mittel für die grundlegenden Staatsaufgaben wie Verteidigung, Polizei, Justiz, Landwirtschaft, Bildung und Erziehung oder Forschung zur Verfügung zu stellen. Bei der Distributionsfunktion schließlich geht es um die Mittel zur Finanzierung der sozialen Aufgaben. Hierunter fallen die Ausgaben für die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Sozialhilfe und vieles andere mehr.
Die Allokations- und Distributionsfunktion sind am besten in den Regionen aufgehoben. Damit hat die Zentrale in der Währungsunion nichts zu tun. Hier kommt es vor allem auf die Stabilisierungsfunktion an. Das Musgrave-Modell sieht dann wie folgt aus:
Es gibt ein zentrales Budget der Währungsunion, das nur für die Stabilisierung da ist und je nach der konjunkturellen Situation einen Überschuss oder ein Defizit aufweisen wird. Über den Konjunkturzyklus hinweg sollte es möglichst ausgeglichen sein. Daneben gibt es die auf nationaler Ebene aufgestellten Allokations- und Distributionsbudgets; sie müssen immer ausgeglichen sein. Wenn ein Land mehr für die Bildung ausgeben will, muss es eben weniger für andere Zwecke verwenden, oder es muss die Steuern erhöhen.
Genau danach wird in den USA verfahren. Dort sind die Bundesstaaten qua Verfassung dazu verpflichtet, ihre Haushalte auszugleichen. Der Bundeshaushalt darf jedoch Defizite und Überschüsse je nach der konjunkturellen Lage aufweisen. In Deutschland wurde das Modell in einer etwas moderneren Form 2009 durch die Schuldenbremse eingeführt (wobei im Bundeshaushalt allerdings viele Ausgaben für die Allokation und die Distribution enthalten sind).
Das macht die Fiskalunion schon viel einfacher. Man muss nicht alles vergemeinschaften, sondern kann den Nationalstaaten genügend Raum für eigene Politik belassen. Freilich muss man sich darüber im Klaren sein, dass große Unterschiede in der Sozialversicherung oder in der Ausstattung mit Infrastruktur am Ende auch Wirkungen in Form von regionalen Wanderungen hin zum günstigsten »Angebot« auf die Währungsunion haben.
Der Pferdefuß ist, dass der Stabilisierungshaushalt ein erhebliches Volumen aufweisen muss, um überhaupt wirksam zu sein. Bisher hat das Euro-Gebiet noch überhaupt keinen eigenen Haushalt, es gibt nur ein EU-Budget. Die Gesamtsumme der Ausgaben belaufen sich hier auf rund 149 Milliarden Euro. Das ist gerade einmal ein Prozent des gemeinschaftlichen Bruttoinlandsprodukts. Vor allem gibt es auch keine eigenen EU-Steuern, mit denen man die Nachfrage im Währungsgebiet steuern könnte. Damit ist wahrlich kein Staat zu machen.
Ein Stabilisierungsbudget des Euro-Gebiets müsste sich mindestens auf das Zehnfache belaufen, damit von ihm entsprechende gesamtwirtschaftliche Wirkungen zur Begleitung der Geldpolitik ausgehen können, also 1000 Milliarden Euro und mehr. Bei solchen Summen erschrickt man. Das ist eine gewaltige Menge Geld.
Zudem müsste es auch eigene Einnahmen, also EU-Steuern, geben, damit die Stabilisierung nicht nur über die Ausgaben erfolgen muss. Als eine mögliche Steuer wurde hier eine Finanztransaktionssteuer ins Gespräch
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