Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
»expertokratische« Verfahren der Regierungen in der Europapolitik einer harschen Kritik unterzogen: »Dass die jahrzehntelange breite Zustimmung zur europäischen Einigung sogar in der Bundesrepublik abgenommen hat, ist nicht selbstverständlich. Der europäische Einigungsprozess, der immer schon über die Köpfe der Bevölkerung hinweg betrieben worden ist, steckt heute in der Sackgasse, weil er nicht weitergehen kann, ohne vom bisher üblichen administrativen Modus auf eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung umgestellt zu werden. Stattdessen stecken die politischen Eliten den Kopf in den Sand. Sie setzen ungerührt ihr Eliteprojekt und die Entmündigung der europäischen Bürger fort.« Er verglich sehr polemisch die soziale Bewegung in Baden-Württemberg, die »nach vierzig Jahren zivilgesellschaftlichen Protestes eine beinharte Mentalität« kippte, mit der Europapolitik, wo »nach einem Jahr Spekulation gegen den Euro hinter verschlossenen Türen ein Maßnahmenpaket ›für wirtschaftspolitische Steuerung‹ verabschiedet wurde.« ( Süddeutsche Zeitung , 7.4.2011)
In einer Diskussion mit Habermas führte der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer die Renationalisierung der Politik in Europa darauf zurück, dass »kein Politiker – egal ob in der Regierung oder in der Opposition – eine Vision entwickelt oder vertritt und sein politisches Schicksal daran knüpft«.
Brüssel ist zum Mülleimer der nationalen Politik geworden ist. Alles, was in der Politik schiefläuft oder unpopulär wird, wird den Entscheidern in Brüssel zugeschrieben: ärgerliche Vorschriften des Verbraucherschutzes, Regulierungen der Industrie, unsinnige Anordnungen der Bürokratie (die berühmt-berüchtigte Krümmung der Gurke). Alles, was der Bürger mag und ihm einen sofort einsehbaren Nutzen bringt, stammt dagegen »natürlich« von den nationalen Behörden. Dabei muss man sagen, dass die Mehrzahl der Beschlüsse der Brüsseler Behörden nicht auf Initiative der Europapolitiker entstanden ist. Sie wurde und wird von den nationalen Beamten oder Politikern angestoßen, oft bis in alle Einzelheiten formuliert und dann nach Brüssel »geschickt«. Solange aber diese Mülleimer-Funktion besteht, kann Brüssel beim Bürger kaum populär werden.
Freilich muss man konzedieren, dass ein solches Verfahren in Bundesstaaten nicht unüblich ist. Auch in den USA wird der Hauptstadt Washington alles Schlechte dieser Welt angedichtet. Sie ist im Land außerordentlich unpopulär. Der Unterschied zu Europa liegt freilich darin, dass die USA die schwierigen Aufgaben der Integration und Etablierung einer gemeinsamen Währung schon hinter sich haben. Auf dem alten Kontinent muss das alles erst noch bewältigt werden. Da kann man sich eine solche Aversion gegen die Zentrale noch nicht leisten.
Beispiele, wie eine Volksbewegung für den Euro aussehen könnte, sind die Energiewende und der Klimaschutz. Hier gibt es eine jahrzehntelange Bürgerbewegung, die »von unten« für die Ziele geworben hat. Es waren zuerst die »grünen Spinner«, die sich harsche Kritik anhören mussten, bis es jetzt respektable Politiker geworden sind, von denen einer in Baden-Württemberg sogar zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Ohne die Vorbereitung durch diese grüne Bewegung wäre der radikale Schwenk der Regierung in Sachen Energiepolitik nach den Ereignissen in Japan nie möglich gewesen.
Wenn es nicht gelingt, eine breite Unterstützung der Bevölkerung für Europa und den Euro zu gewinnen, wird es nichts mit dem Powerhouse und auch nichts mit dem Euro als Motor der Integration. Europa wurde viel zu lange als Projekt der Amtsstuben gesehen. Es muss eine Volksbewegung werden.
6. Die Fiskalunion
An sich läge es nahe, die für die politische Union unerlässliche gemeinsame Finanzpolitik genauso zu organisieren wie die Geldpolitik. Schließlich ist sie das unmittelbare Gegenstück dazu. Man würde also ein großes Finanzministerium schaffen, so wie die Europäische Zentralbank in Frankfurt. Chef dieses Superministeriums wäre ein europäischer Finanzminister, der wie der Zentralbankchef von den einzelnen Staats- und Regierungschefs der Mitglieder ernannt würde. Ihm zur Seite stünde ein Berater- und Beschlussgremium, in dem die nationalen Finanzminister sitzen. Hier fallen alle wichtigen finanzpolitischen Entscheidungen.
Die nationalen Finanzministerien wären dann nicht viel mehr als die Ausführungsanstalten für die gemeinsame
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