Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
Finanzpolitik. Sie müssten die Steuern einziehen und diese dann in der Zentrale abliefern. Sie bekämen für die einzelnen Aufgaben das jeweils benötigte Geld zugewiesen und könnten es verteilen. Sie könnten Vorschläge in dieser oder jener Richtung machen, aber nichts entscheiden.
Geht so etwas? Vielleicht. Zu wünschen ist es aber sicher nicht. Es wäre Gigantomanie. Das Superfinanzministerium hätte ein Budget von rund 4000 bis 4500 Milliarden Euro zu verwalten. Das ist mehr als das Zehnfache des deutschen Bundeshaushalts.
Die einzelnen Mitgliedstaaten würden eine solche Entmachtung nie und nimmer hinnehmen. Es war schon schwer genug, den nationalen Notenbanken die Kompetenz für die Geldpolitik abzunehmen. Da gab es viel Heulen und Proteste. Aber wenn die nationalen Regierungen dann auch noch ihre Steuern in Brüssel abliefern müssten und lediglich auf Antrag für die einzelnen Aufgaben Geld wieder zurückbekämen, wäre der Aufschrei groß.
Auch die nationalen Parlamente würden es nicht akzeptieren. Das Budgetrecht ist nun einmal das wichtigste Recht der Abgeordneten.
Fiskalpolitik ist anders als die Geldpolitik. Im monetären Bereich darf es für die gesamte Währungsunion nur einen Zins geben. Sonst kommt es zu störenden Kapitalbewegungen von einer Ecke in die andere. Daher muss die Geldpolitik für alle gleich sein. Das ist ihr großer Vorteil, gleichzeitig aber auch ihr Problem. Denn sie kann nicht differenzieren.
Bei der Finanzpolitik ist das anders. Sie kann regional ganz stark differenzieren, wenn erforderlich, bis in die einzelne Gemeinde oder den einzelnen Landkreis. Sie ist damit das notwendige Gegenstück zur Geldpolitik. Sie kann nicht nur die Zentralbank in ihrer makroökonomischen Zielsetzung unterstützen. In der Rezession helfen öffentliche Defizite zusammen mit Zinssenkungen, die Wirtschaft vor einem zu starken Abschwung zu bewahren. Im Aufschwung gehen die Zinsen hoch und die öffentlichen Haushalte fahren einen Konsolidierungskurs. Und wenn der Aufschwung in einem Mitgliedsland stärker ist als in anderen, dann ist es Aufgabe der öffentlichen Haushalte, hier korrigierend einzugreifen.
In einer Währungsunion muss Finanzpolitik also zwei Funktionen erfüllen: Sie muss makroökonomisch steuern und zugleich auf die jeweiligen dezentralen Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Dafür ist ein Superministerium nicht geeignet.
Modell der kooperativen Finanzpolitik
Effektiver und angemessener als ein schwerfälliger Zentralapparat ist das Modell einer kooperativen Fiskalpolitik. Bereits jetzt treffen sich die Damen und Herren aus den Treasuries der einzelnen Länder im Rahmen der Euro-Gruppe zum regelmäßigen Austausch. Diese Diskussionen sind, so hört man, in der Praxis der Währungsunion fruchtbar. Als eine Art Gegenpol zum Chef der Europäischen Zentralbank gibt es die Position des Chefs der Euro-Gruppe (derzeit Jean-Claude Juncker), der für jeweils zwei Jahre gewählt wird (mit der Möglichkeit zur Wiederwahl).
Denkbar wäre, dass sich die Finanzminister der Euro-Gruppe nicht nur über aktuelle Fragen austauschen, sie könnten sich auch über Grundlinien der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung im Euro-Gebiet und in den einzelnen Regionen verständigen und entsprechend ihre finanzpolitischen Maßnahmen und Steuerungen im Voraus beschließen. Aus der Addition der so abgesteckten nationalen Budgets würden der (virtuelle) zentrale Haushalt und die zentrale Fiskalpolitik resultieren. Unterstützung erhielten sie von der Europäischen Kommission mit ihrem Sachverstand.
Ob das freilich funktioniert, ist schwer zu sagen. Es ein umständliches und langwieriges Verfahren. Es könnte gerade in schwierigen Zeiten zu erheblichen Verzögerungen und Friktionen führen, vielleicht sogar zu Handlungsunfähigkeit. In jedem Fall bräuchte man eine gemeinsame Institution, die die Sitzungen der Euro-Gruppe gut vorbereitet und die Prognosen erstellt. Und man bräuchte Sanktionen, um sicherzustellen, dass sich am Ende auch alle Finanzminister an das gemeinsam Vereinbarte halten.
Tatsächlich gibt es bereits Ansätze für eine solche Koordinierung. Im September 2010 wurde das sogenannte Europäische Semester beschlossen. Danach legt die Europäische Kommission im Januar jedes Jahres einen »Annual Growth Survey« (Jährlicher Wachstumsbericht) vor. Dieser wird auch dem Europäischen Parlament zugeleitet und dort diskutiert. Auf der Basis dieses Berichts erarbeiten die nationalen
Weitere Kostenlose Bücher