Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
werden von einer europäischen Institution wegen schlechter Politik ermahnt. Noch unangenehmer ist es, die Verfehlung vor den eigenen Wählern rechtfertigen zu müssen.
Wenn gar nichts hilft und das Land seine Finanzen nicht in Ordnung bringt, dann erfolgen am Ende auch Strafen. Es gibt hier verschiedene Möglichkeiten (die in der Praxis bisher aber noch nicht angewandt wurden), zum Beispiel eine Verurteilung zu Geldstrafen, die sich zwischen 0,2 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegen. Für Deutschland wären das nach derzeitigem Stand Beträge zwischen 4,8 und 12 Milliarden Euro. Das schmerzt. Die Strafe kann auch darin bestehen, eine unverzinste Einlage in angemessener Höhe zu hinterlegen. Denkbar ist auch, dass die Europäische Investitionsbank ihre Darlehenspolitik gegenüber Haushaltssündern überprüft, so dass diese weniger Mittel von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt bekommt.
Seit der Stabilitäts- und Wachstumspakt in Kraft ist, wurden eine Reihe von »blauen Briefen« geschrieben und »Verfahren wegen übermäßigen Defizits« eingeleitet. Zu Strafzahlungen ist es jedoch nicht gekommen. Manche haben dies bedauert. Sie nahmen dies zum Anlass, darüber zu klagen, dass der Pakt doch nicht wirksam sei. Aber es hat sich in all den Jahren gezeigt, wie sehr die einzelnen Mitglieder die Diskussion über ihre Verfehlungen scheuen. Die Deutschen und die Franzosen taten alles, damit die gegen sie laufenden Verfahren niedergeschlagen wurden. Sie riskierten dabei sogar, dass die EU-Kommission gegen sie eine Klage einreichte.
Insgesamt hat der Pakt dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Bedeutung der öffentlichen Finanzen für die Stabilität der Währung zu schärfen. Er ist – eingeführt von Theo Waigel – ein wichtiges Vertrauenselement für den Euro, sozusagen ein eingebauter Stabilitätskompass. In keiner Region der Welt passen die Regierungen so sehr auf, die Fehlbeträge in den Finanzen gering zu halten. Die öffentliche Meinung ist auf das Drei-Prozent-Kriterium fixiert. Das hat der Stabilität im Euro-Raum sicher geholfen.
Wer hätte sich ohne Drei-Prozent-Regel aufgeregt, als die Griechen ein höheres öffentliches Defizit als das ursprünglich gemeldete bekannt gaben? Viel spricht dafür, dass die Finanzpolitik im Euro-Gebiet ohne die Vorschriften wesentlich laxer gewesen wäre. Man muss nur die Defizite in den USA und in Euro-Land vergleichen: 2010 betrugen die Fehlbeträge in den USA über 11,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, im Euro-Gebiet insgesamt lagen sie bei 6,3 Prozent. Dabei war das gesamtwirtschaftliche Wachstum mit entsprechend positiven Steuereinnahmen in den USA mit 2,5 Prozent deutlich über den 1,7 Prozent in Euro-Land.
Zu keiner Zeit wurde daher in der Krise daran gedacht, am Stabilitäts- und Wachstumspakt zu rütteln. Worüber die Staats- und Regierungschefs und ihre Finanzminister diskutierten, waren Verbesserungen und Verschärfungen der Regeln. Hier gibt es in der Tat einige Punkte, die nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Pakt verbesserungswürdig sind.
Erstens muss man die statistische Ermittlung der Defizite verbessern. Es muss ausgeschlossen werden, dass ein Land wie im Falle Griechenlands falsche Zahlen nach Brüssel meldet. Dazu muss das Statistische Amt der EU (genannt »Eurostat«) ein Eingriffsrecht in die nationalen Statistischen Ämter bekommen.
Zweitens muss man das Verfahren, wie Sanktionen bei Verletzungen des Stabilitätspakts in Kraft treten, neu ordnen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es wenig Sinn ergibt, wenn die Gruppe der Finanzminister über die Einleitung von Sanktionen beschließt. Da entscheiden potenzielle Sünder über einen aktuellen Sünder. Jeder Finanzminister wird es sich dreimal überlegen, ob er für Sanktionen gegen einen anderen votiert. Beim nächsten Mal könnte es sein, dass er selbst auf der Anklagebank sitzt.
Rein theoretisch wäre es am besten, wenn die Sanktionen automatisch in Kraft treten, sobald das Stabilitätskriterium verletzt wird. Automatismen sind in der Wirtschaftspolitik jedoch eher schwierig, immerhin geht es meist um Einzelfälle mit je spezifischen Verhältnissen, die berücksichtigt werden müssen. Zum Beispiel kann der Fall eintreten, dass eine Regierung, die das zu hohe öffentliche Defizit verschuldet hat, längst abgewählt ist. Sollen nun die Nachfolger bestraft werden für etwas, was sie gar nicht zu verantworten haben? Als Alternative zu einem Automatismus kann man die
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