Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
Beweislast beim Beschluss der Sanktionen umkehren. Die Finanzminister beschließen zwar nicht die Sanktionen, haben aber das Recht, automatisch eintretende Sanktionen mit Zweidrittelmehrheit zu verhindern, wenn das opportun erscheint.
Drittens müssen die Strafen bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt schneller verhängt werden können. Das bisherige Verfahren ist in der Tat außerordentlich kompliziert und langwierig. Zunächst schlägt die Kommission dem Ministerrat vor, ein Verfahren wegen übermäßigen Defizits in Gang zu setzen, und erstellt dazu einen Bericht. Dieser Bericht muss dem Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Stellungnahme vorgelegt werden. Innerhalb von vier Monaten nach Erstellung des Berichts entscheidet der Rat über Empfehlungen an das betreffende Mitgliedsland, welche Maßnahmen zum Abbau des Defizits getroffen werden sollen. Das Land bekommt dann mindestens sechs Monate Zeit, um diese Empfehlungen umzusetzen.
Entzug der Stimmrechte?
Erst nach diesen sechs Monaten wird es richtig ernst. Wenn dann der Rat feststellt, dass von dem Land keine Maßnahmen ergriffen wurden, veröffentlicht er seine Empfehlungen. Geschieht weiterhin nichts, kann er das Land innerhalb von zwei Monaten in Verzug setzen und vier Monate später die Strafen verhängen.
Man muss sich das vor Augen führen: Wenn alles reibungslos abläuft, wird es rund eineinhalb Jahre dauern von der Feststellung des Defizits bis zum Inkrafttreten von Sanktionen. Die Strafe für einen zu hohen Fehlbetrag in 2008 kommt frühestens im Herbst 2010. Inzwischen kann viel passiert sein: Es kann eine neue Regierung an die Macht gekommen sein, es kann einen Wirtschaftsaufschwung mit höheren Steuern gegeben haben, der die Lage der öffentlichen Finanzen verändert, und vieles anderes mehr. Es ist also durchaus sinnvoll, das Verfahren zu straffen und zu beschleunigen.
Ein vierter Ansatzpunkt zur Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist die Erhöhung der Strafen. Theo Waigel hat hierzu beispielsweise vorgeschlagen, dem Land vorübergehend das Stimmrecht in Gremien der EU zu entziehen. Auch das würde dazu führen, dass der Pakt »mehr Zähne« bekommt.
Es darf fünftens nicht nur auf das Drei-Prozent-Kriterium geschaut werden. Im Stabilitätspakt heißt es ja auch (ist aber fast in Vergessenheit geraten), dass die gesamten Staatsschulden nicht höher als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein dürften. Diese Hürde ist von einigen Ländern (Belgien, Italien) von Anfang an gerissen worden. Inzwischen liegt die große Mehrheit der Euro-Staaten darüber. Nur die kleineren Staaten Estland, Slowakei, Slowenien, Luxemburg, Zypern und Finnland halten das Kriterium ein. Spanien ist die große Ausnahme, seine Verschuldung beträgt 60,1 Prozent. In Deutschland liegt die Rate bei 83,2 Prozent.
Diesem Bestandskriterium muss mehr Gewicht gegeben werden. Denn es kommt nicht nur darauf an, dass ein Land wenig Schulden macht, es soll auch wenig Schulden haben. Hohe Schulden sind eine Gefahr für den Geldwert und belasten die öffentlichen Haushalte über die hohen Zinszahlungen. Gedacht ist daran, dass die Gesamtverschuldung jedes Jahr um einen bestimmten Prozentsatz zurückgeführt wird.
Ein gewisses Problem stellt sich allerdings dadurch, dass das Drei-Prozent-Kriterium für die Defizite und das Sechzig-Prozent Kriterium für die Verschuldung nur unter ganz besonderen Bedingungen zusammenpassen.
Es gibt einen eindeutigen mathematischen Zusammenhang zwischen dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum, den öffentlichen Defiziten und der öffentlichen Gesamtverschuldung, und der lautet: Wirtschaftswachstum gleich öffentliches Defizit in Prozent BIP geteilt durch öffentliche Verschuldung in Prozent BIP. Das heißt:
Wenn ein Land eine Staatsschuld von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat und ein öffentliches Defizit von 3 Prozent, dann braucht es rein rechnerisch ein nominelles Wachstum von 5 Prozent, um in den kommenden Jahren nicht ins Ungleichgewicht zu rutschen. Wenn seine Wirtschaft nur um 4 Prozent expandiert, dann erhöht sich die Staatsschuld auf 60,6 Prozent, selbst wenn das Drei-Prozent-Kriterium für die öffentlichen Defizite eingehalten wird. Wenn das nicht geschehen soll, dann muss das Defizit niedriger als 3 Prozent sein (genau 2,4 Prozent).
Umgekehrt: Wenn das nominale Wachstum eines Landes 6 Prozent beträgt, dann kann es sich ein höheres öffentliches Defizit als 3 Prozent »leisten« (genau
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