Rettet unser Geld
Bellevue wohne ich ja nicht.
Irgendwie scheint die Diskussion um Thilo Sarrazin den neuen Bundespräsidenten ermutigt zu haben, nachträglich selbst einen Beitrag zu leisten und seine Gedanken nicht länger für sich zu behalten. Ausgerechnet zum 20. Jahrestag der deutschen
Einheit am 3. Oktober 2010 teilte er seinen verblüfften Bürgern mit, dass nun auch der Islam zu Deutschland gehöre. Das Christentum gehöre zweifelsfrei zu Deutschland, sagte er, als hätte er soeben letzte Zweifel in sich niedergerungen, und auch das Judentum gehöre dazu. Dann aber folgte der entscheidende Satz, der tagelang für Diskussionsstoff sorgte und teilweise zu wütenden Protesten führte: »Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.« Vielleicht hat er nicht bedacht, dass damit im Umkehrschluss auch Deutschland, zumindest teilweise, dem Islam gehört.
In der Folge seiner Rede, bei der er sich, von Begeisterung getragen, als »Bundespräsident aller, die in Deutschland leben«, outete, was sein Amt nun wirklich nicht hergibt, kam es in der Öffentlichkeit zu einer auffallend kritischeren Bewertung des Islams. Wulffs Schuss war nach hinten losgegangen. So stellte man fest, dass der Islam in vielen Punkten, und nicht nur bei der Benachteiligung der Frau und der Rechtsauffassung der Scharia, mit unserer Verfassung kollidiert; man stellte auch fest, dass diese Inkompatibilität ganz unabhängig von Extremismus und Terrorismus in vielen gläubigen Muslimen existiert. Im gleichen Maß, wie man über Christian Wulff den Kopf schüttelte - die FAZ erklärte die neue Freundschaft zwischen ihm und dem türkischen Staatschef Erdogan mit dem Satz: »Beide kämpfen für Muslime« -, gewann der zuvor geächtete Sarrazin auch in den Medien neue Freunde. Mir schien es, als hätten sich seine Kritiker doch noch herabgelassen, sein Buch durchzulesen, und dabei entdeckt, dass sie Wahnvorstellungen aufgesessen waren.
Inmitten all der Konfusion um seine missverstandenen Thesen ist auch eine andere noble Geste festzuhalten: Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hat sich - wie übrigens auch Henryk M. Broder, Ralph Giordano, Necla Kelek
und meine Wenigkeit - sofort auf die Seite des öffentlich Gedemütigten gestellt und ihm angeboten, in dem bevorstehenden SPD-Parteiausschlussverfahren seine Verteidigung zu übernehmen. Schon immer habe ich diesen freiheitsliebenden Grandseigneur bewundert, der ähnlich wie sein Parteigenosse Helmut Schmidt, aber ohne dessen Schnoddrigkeit, für die Ideale unsere Demokratie, vor allem aber die Meinungsfreiheit eingetreten ist.
Wie er nun Sarrazin zur Seite trat, obwohl er damit den Unwillen der SPD auf sich zog, hat er auch mir 1998 in einer vergleichbaren Situation geholfen. Als BDI-Präsident, der an der Reformunfähigkeit unserer Gesellschaft verzweifelte, hatte ich gewagt, eine gründliche Erneuerung des politischen Entscheidungssystems vorzuschlagen, das ganz einfach schneller und effektiver sein musste, um auf Herausforderungen reagieren zu können. Da für dieses Ziel eine Grundgesetzänderung nötig gewesen wäre, erging es mir ähnlich wie Thilo Sarrazin; nicht in derselben Heftigkeit und publizistischen Breite, die ich eher mit einer schweren See als mit einem Tsunami vergleichen würde, aber massiv genug, um mich im Innersten zu treffen - worauf bei derlei Treibjagden ja abgezielt wird.
Wortführer der moralischen Keulenriege war in diesem Fall Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung , der in einem Leitartikel »Der Staat als Beute« über mich herzog, indem er behauptete, der Industriepräsident habe sozusagen seine Krallen in Richtung Staat ausgefahren, dessen Grundgesetz er außer Kraft zu setzen suche. Dabei hatte ich das Gegenteil im Sinn, nämlich den selbstblockierten Staat wieder handlungsfähig zu machen. Und Prantl, der mich überfiel »wie Ziethen aus dem Busch«, besaß noch die Stirn, am Schluss seines Textes auf den Grundgesetzartikel 20, Absatz 4 zu verweisen, der es jedem Deutschen erlaubt, Widerstand zu leisten, wenn jemand
die Verfassungsordnung beseitigen will, was bekanntlich auf die Legitimation des Tyrannenmordes hinausläuft. Gegen die hatte ich gar nichts, sehr wohl aber dagegen, dass Herr Prantl dieses Recht gegen mich in Stellung zu bringen schien.
Die Süddeutsche -Attacke wurde zu meiner ersten persönlichen Erfahrung mit dem Maulkorb. Als überführter Verfassungsfrevler sollte ich ihn hinfort tragen, wenn mir mein ruhiges Leben lieb war. Bald
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