Rettet unser Geld
stammten, erklärte er mir, aus der »Inflationszeit«. Zwar wusste ich nicht, was das Wort bedeutete, aber nie wieder im Leben habe ich Summen gesehen, wie sie hier auf die riesigen bunten Scheine gedruckt waren: Millionen und Milliarden. Und lachend hatte Opa mir dazu erklärt, dass man etwa für den einen Schein - 10 Millionen Reichsmark - gerade einmal ein Brötchen hatte bekommen können. Man musste sich aber beeilen und möglichst zwei kaufen, denn wenn man später zur Bäckerei zurückkehrte, konnte es schon 100 Millionen kosten. »Und gab es genug Brötchen?«, fragte ich ihn. Lächelnd schüttelte er den Kopf: »Der Unterschied zwischen dem Krieg und der Nachkriegszeit bestand darin, dass wir nie genug zu essen hatten.« Eines verstand ich damals: Mit so vielen Nullen auf ihrem Geld waren die Menschen selbst zu Nullen geworden.
Heute gilt es als wissenschaftlich unbestritten, dass die Instabilität des Geldes, verbunden mit Armut und Arbeitslosigkeit, zur Zerrüttung der Weimarer Republik geführt hat. Geld war und ist nämlich mehr als ein Zahlungsmittel - es gibt Auskunft über den Zustand, in dem das eigene Land sich befindet. Hätte Deutschland noch an sich selbst und seine Volkswirtschaft geglaubt und sich nicht einem Heer von hungernden Arbeitslosen gegenübergesehen, wäre Hitler niemals an die Macht gekommen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholte sich das Entwertungsszenario: Wie das Land selbst, so verlor auch das Geld seine Gültigkeit. Die fleißigen Sparer waren die großen Verlierer, denn ihre Guthaben wurden 10:1 abgewertet. Wer dagegen Immobilien und Sachwerte besaß, konnte sie - soweit sie von den Bomben verschont geblieben waren - ohne Abstriche behalten. Wer will, kann daraus eine Lehre für die Zukunft ziehen …
Übrigens gab es, wie ich mich gut erinnern kann, noch vor Einführung der D-Mark ein amerikanisches Besatzungsgeld im Format der Dollarscheine, auffallend bunt und für mich weit attraktiver als die alte Reichsmark, die schon vom Aussehen her billig und abgegriffen erschien. Am »Hitlergeld« ließ sich ablesen, wie dessen Großreich abgewirtschaftet hatte.
Das neue, in den USA gedruckte Geld gab es ab Juni 1948, da war ich acht Jahre alt. Da nur begrenzte Mengen zur Verfügung standen, gab es nicht mehr als 40 Mark »Kopfgeld«. Das hatten wir - meine Mutter und wir drei Geschwister - auch dringend nötig, denn alles, was unsere Familie je besessen und angespart hatte, war weg, das Haus zerbombt, fast der ganze Besitz verbrannt, der Vater in Ungarn gefallen. Ich sehe noch meine Mutter vor mir, wie sie das frisch gedruckte Geld nach Hause brachte und mit strahlender Miene auf dem Küchentisch ausbreitete - insgesamt 160 Mark, also 40 für jedes Familienmitglied. Wir fühlten uns wie beim Monopoly: Ein ganzes Volk war wieder auf »Los« geschickt.
Mein erstes Gehalt als Lehrling bei der Hamburger Spedition Kühne & Nagel betrug 1956 ganze 56 Mark im Monat, stieg aber rapide auf 80, im zweiten Jahr sogar auf 120 Mark an. Nie wieder haben mich beim Geldverdienen ähnliche Glücksgefühle beschlichen wie beim Öffnen meiner ersten Lohntüte - denn Lohn gab es noch in Tüten, was den Empfang zu einem ähnlichen Erlebnis machte wie das Auspacken eines Geschenks.
Man sah das Geld, befühlte es und - gab es gleich aus. Für immer wird die neugewonnene Sicherheit meines Lebens mit diesen schönen D-Mark-Scheinen verbunden bleiben, deren Design mir heute, vielleicht aus Nostalgie, viel gelungener erscheint als das der Euro-Scheine mit ihren nichtssagenden Gebäudefragmenten.
Unvergesslich ist mir auch jene wahre Geld-Überschwemmung geblieben, als meine Mutter das zerbombte Grundstück an der Rothenbaumchaussee verkaufte, auf dem noch die rauchgeschwärzte Ruine unseres Hauses stand. Sie bekam dafür 10.000 Mark in bar, und ich sehe sie heute noch vor mir, wie sie im Wohnzimmer vor diesem riesigen Geldhaufen saß und wir mit offenen Mündern um sie herum, weil wir so etwas noch nie zuvor gesehen hatten - auch später kam in meinem Leben dergleichen nicht mehr vor.
Ein Gefühl überwältigte mich damals, als ich am Tisch saß und vorsichtig die druckfrischen Scheine befühlte und beschnupperte: Jetzt sind wir reich, dachte ich, jetzt können wir uns alles kaufen! Zwar irrte ich mich, was das betraf, doch im Prinzip hatte ich Recht: Dank der harten Währung konnte man sich wieder alles kaufen, ohne fürchten zu müssen, dass einem wieder die Preise davonliefen.
Mutter hatte damals
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