Rettet unser Geld
die oft genug anderer Meinung waren, hat sie aus ihrer Umgebung »weggezaubert«,
und jenen, die verblieben sind wie Bundesbankpräsident Axel Weber, scheinen die Hände gebunden zu sein, weil sie sich noch etwas von ihr erwarten.
Angela Merkel gehört unzweifelhaft zur Kategorie der unumstrittenen, fast allmächtigen Parteiführer, die Erfolg bei den Wahlen garantieren und deshalb jeden, der »wider den Stachel löckt«, zum Schweigen bringen können. Dadurch besteht die Umgebung solcher Parteiführer aus Leuten, die sich freiwillig mit einem Maulkorb versehen haben, oder aus Selbstverkleinerungskünstlern, die sich ganz von selbst auf das Maß zurechtstutzen, das genehm ist.
In einem wichtigen Punkt unterscheidet sich Angela Merkel allerdings von der typischen Spezies innerparteilicher Allmacht: Sie führt nicht, sie kommandiert nicht, sie legt sich nicht fest, sondern überlässt es anderen, sich zu exponieren und damit ein bequemes Angriffsziel zu bieten. Mit dieser evasiven Haltung, die erst auf den Plan tritt, wenn die Schlacht geschlagen ist und die Verlierer am Boden liegen, hat sie sich lange Jahre halten können, und sogar mit Erfolg, da man sich mit sogenannter »Realpolitik«, die eindeutigen Prinzipien folgt, in einer Diskussions- und Kommissionsdemokratie wie der unseren schnell selbst verheizt.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Bei allen Schwächen ist mir Frau Merkel weitaus lieber als ihre parteipolitischen Gegner, die gerade in den letzten Monaten eine Sprache sprechen, die mich an die vergifteten Debatten der Weimarer Republik erinnert. Jeder von ihnen, ob Sigmar Gabriel, Jürgen Trittin, Renate Künast oder Gregor Gysi, verfügt über eine Rhetorik, der Angela Merkel nichts entgegenzusetzen hat - nur: Es ist eine schlimme Rhetorik, deren schneidende Schärfe den Gegner nicht mit Argumenten, sondern mit den Stichwaffen der vermeintlichen moralischen Überlegenheit verletzen
und zur Strecke bringen will. Noch häufiger als die Stichwaffe wird allerdings die von Walser beschriebene »Moralkeule« eingesetzt. Ob es sich um Thilo Sarrazin, die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke oder die Einsparungen bei Sozialleistungen handelt: Man argumentiert nicht, man richtet, und am liebsten richtet man hin. Natürlich nur rhetorisch. Früher nannte man das Demagogie.
Die Kanzlerin ist nun wahrhaftig keine Demagogin, und vor der Versuchung durch die ach so gefährliche »Realpolitik« bewahrt sie ihre Erziehung im protestantischen Pfarrhaus. Ihre Nicht-Rhetorik ist mir immerhin angenehmer als die moralischen Vernichtungsfeldzüge ihrer Gegner. Doch endet Angela Merkels Latein gerade dort, wo es auf realistische Interessenvertretung ankommt, nämlich im Verhältnis zum Ausland, vor allem zu den europäischen Partnern. Ihre defensive, abwartende Strategie der kalkulierten Selbstzurücknahme wird, wenn es in Europa um Verteilung von Macht und Geld geht, zum folgenschweren Fehler - etwa als würde man bei einem Pokerturnier, als Beweis des guten Willens, sein Blatt offenlegen. Oder gleich seine Chips zur allgemeinen Verwendung freigeben.
Eben das ist geschehen. Angela Merkel hat nicht verhindert, dass aus der deutschen Selbstbeschädigung eine deutsche Selbstentmachtung wurde. Um im Bild zu bleiben: Sie ist auf den Bluff ihres Hauptkontrahenten Nicolas Sarkozy hereingefallen, hat ihr sehr gutes Blatt offengelegt und gleichzeitig ihre Einsätze allen Mitspielern zur Disposition gestellt, nicht für sofortige Verwendung, aber für den Fall, dass Bedarf besteht. Sie hat gehandelt, als hätte sie geglaubt, dass nicht gepokert, sondern Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt würde.
Schlimmer noch: Angela Merkel hat es vorgezogen, beim entscheidenden Spiel gar nicht anwesend zu sein. In der deutschen Innenpolitik hat sie mit dieser Taktik - nach Art des Tapferen
Schneiderleins - schon manche Partie gewonnen. In der Außenpolitik kann Abwesenheit tödlich sein. Dann wird das Fell verteilt, das man für das eigene gehalten hatte. Und weil es so schnell geht, spürt man nicht einmal, dass es einem über die Ohren gezogen wird.
Mich wundert heute noch, dass die schreckliche Symbolik kaum einem aufgefallen ist: Am Tag, an dem über die Verwendung deutschen Steuergelds von bis zu 150 Milliarden Euro für ausländische Zwecke verhandelt wurde, zog Frau Merkel es vor, nach Moskau zur Feier der deutschen Niederlage von 1945 zu reisen. Präsident Sarkozy, schlau wie immer, war - vertreten durch Finanz- und
Weitere Kostenlose Bücher