Rettet unser Geld
bildete hier 2000 bis 2004 eine Ausnahme -, noch irgendeiner UN-Agentur von Bedeutung, noch selbst an der Spitze der Europäischen Union, für die Deutschland den größten finanziellen Beitrag leistet. Wo stecken sie denn, die Deutschen? In den hinteren Reihen, wie man schon auf den Gruppenbildern der Gipfeltreffen sehen kann. Nur wenn es hinterher ans Bezahlen geht, gilt der Bibelspruch, wonach die Letzten die Ersten sein werden.
Schon 1994 monierte Wolfram Engels, bekannter Wirtschaftsprofessor und damaliger Herausgeber der WirtschaftsWoche , dass »Deutschland zwar zahlen darf, aber nichts zu sagen hat«. Dazu fällt mir, als historische Parallele, die sogenannte Tributpflicht ein: Ein Volk, das von Stärkeren unterworfen wurde, aber formal seine Freiheit behalten durfte, hatte an die überlegenen
Mächte Tribut zu leisten, ansonsten aber nichts zu melden. Kürzlich wurden die Deutschen daran erinnert, dass sie seit fast hundert Jahren zu Zwangsleistungen an ihre Freunde verpflichtet sind: Ende September 2010 wurden die letzten Schulden aus den Reparationszahlungen beglichen, die Deutschland für die zwischen 1914 und 1918 entstandenen Kriegsschäden zu zahlen hatte. Es handelte sich immerhin noch um fast 70 Millionen Euro, die vom heutigen Steuerzahler aufzubringen waren, allerdings nur als winziger Restteil der insgesamt umgerechnet rund 700 Milliarden Euro, die Deutschland in Versailles aufgebürdet worden waren. Der Fall einer neuerlichen Tributpflicht ohne weitere Einflussmöglichkeit dürfte spätestens dann in Europa eintreten, wenn es nur noch Nehmerländer gibt, denen ein einziges Geberland die benötigten Mittel zuzuliefern hat.
Schon heute zahlt Deutschland 89 Prozent mehr in die EU ein, als es nach dem Maßstab des Pro-Kopf-Einkommens zahlen müsste - in der Dekade nach 1999 addierte sich das zu stolzen siebzig Milliarden Euro, die unseren Freunden Wohlstand brachten, in unseren Staatshaushalt aber Löcher rissen. Der Euro-Kritiker Professor Wilhelm Hankel ging gegenüber Boerse-Express im Juni 2010 noch weiter: »Aus Sicht Deutschlands wurden durch die Transfers buchstäblich Hunderte Milliarden Euro an Kapital verloren, die jetzt zu Hause fehlen.«
Auch ifo-Chef Hans-Werner Sinn sieht die Deutschen als große Verlierer der EU und des Euro. In seiner Europa-Denkschrift Rescuing Europe weist er auf die wenig bekannte, weil unpopuläre Tatsache hin, dass »Deutschland gewaltige Mengen an Kapital verloren hat, obgleich es diese zum Wiederaufbau seines ehemals kommunistischen Ostteils gebraucht hätte. Tatsächlich wurde Deutschland in den letzten Jahren zum zweitgrößten Kapitalexporteur überhaupt«. Profitiert haben
das südwestliche Europa und die USA, die unser Kapital »förmlich einsaugten, um ihre Investments zu finanzieren und sich ein gutes Leben zu machen«.
Mit Ausnahme der Reichen, so Sinn, hat die gesamte »deutsche Bevölkerung darunter gelitten«. Auch wenn sich im Jahr 2010 vieles erfreulicher darstellt, bleibt es eine Tatsache, dass wegen der riesigen Kapitalströme ins Ausland »Deutschland neben Italien die niedrigste Wachstumsrate aller europäischen Länder aufzuweisen hat«. In den letzten vierzehn Jahren wuchs beispielsweise das BIP Irlands um 198 Prozent, das Griechenlands um 58 Prozent und das Spaniens um 50 Prozent - das unseres eigenen Landes dagegen um ganze 14 Prozent, obwohl wir deutlich länger arbeiten. Deshalb sind wir im Wachstum seit 1995 vom dritten auf den zehnten Platz zurückgefallen. Nur als Zahlmeister glänzen wir als Nummer Eins - eine Position, die uns niemand streitig machen will.
Der jüngste Fall von Selbstdemontage geht eindeutig auf die Kappe der Kanzlerin. Sie hat, nach anfänglichem Widerstreben, auf ganzer Linie kapituliert und ihrem französischen Duzfreund Nicolas den Sieg überlassen. Da es dabei um nationalökonomische Fragen, also um den Wohlstand des eigenen Volkes ging, das heißt um unsere unbezahlbaren Staatsschulden, aber auch um die maroden Schulen, Schlaglöcher auf den Straßen usw., durfte man erwarten, dass die promovierte Physikerin sich von kundigen Fachleuten beraten ließ. Das war wohl auch so, nur setzt eine erfolgreiche Beratungstätigkeit zum einen voraus, dass die Betreffenden den Mut haben, ihrer Chefin die Meinung zu sagen, und zum anderen, dass diese die Größe aufbringt, auch widersprechende Meinungen gelten zu lassen. In diesem Punkt bin ich sehr im Zweifel. Ausgewiesene Fachleute wie Friedrich Merz oder Roland Koch,
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