Rettungskreuzer Ikarus Band 036 - Schlacht um Vortex Outpost
dass er hereingekommen war.
»Ich habe nicht geschlafen«, behauptete sie, aber ihre Augen und ihre
Stimme straften die Worte Lügen. Sie blinzelte und schauderte zusammen,
als sie erst jetzt bemerkte, wie ausgekühlt ihr Körper war. Roderick
griff nach der Decke und breitete sie über seine Frau.
»Dann solltest du es jetzt tun«, sagte er sanft, aber Sonja schüttelte
den Kopf und setzte sich halb auf, ohne das Kissen loszulassen.
Manchmal dachte Sentenza, dass diese neue Angewohnheit etwas damit zu tun hatte,
dass Sonja ihre Schwangerschaft unterbrochen hatte, so als wäre das Kissen
ein Ersatz für die Leere in ihrem Bauch. Irgendwie fand er diesen Gedanken
furchtbar und schob ihn zur Seite. Unwillkürlich wandte er den Blick ab,
nur für einen kurzen Moment, dann ärgerte er sich über sich selbst
und sah Sonja wieder in die Augen. Sie hatte, verschlafen wie sie war, seine
kurze Gefühlsschwankung nicht mitbekommen.
»Nein, ich bin wach«, beteuerte sie. »Ich habe gewartet. Wie
war die Sitzung?«
»Keine Überraschungen. Leider. Oder zum Glück. Je nachdem.«
Sentenza schüttelte leicht den Kopf. »Alle Fakten sind ja längst
bekannt, die Fronten klar, die Zahlen für alle sichtbar. Wenn es eine Frage
der Masse wäre, die Outsider könnten einpacken und sich ergeben. Sie
sind trotz der Verstärkung, die sie bekommen haben, weiterhin deutlich
in der Minderheit.«
Es war definitiv nicht die Größe der Feindflotte, die allen Befehlshabern
und Kapitänen dunkle Ringe unter die Augen und tiefe Falten auf die Stirn
malte. Zählungen nach waren es jetzt ungefähr 200 Hairaumer, die abwartend
im System hingen, und es galt als unwahrscheinlich, dass sie für diese
eine Schlacht noch weitere Verstärkung bekommen würden, bis die eigentliche
Invasionsflotte anrückte. Nachdem die Flotte der Feinde durch die Adlaten
soweit dezimiert worden war, dass diese sich zurückgezogen hatten und die
Schlacht irgendwie von den Alliierten als ›gewonnen‹ verbucht werden
konnte, hatte es einen Zustrom von neuen Outsiderschiffen gegeben. Der war nun
versiegt. Mit großer Wahrscheinlichkeit bedeutete dies, dass die nächste
Schlacht kurz bevor stand. 200 Raumer klang nicht nach viel, aber der erste
Angriff auf Vortex Outpost hatte mit etwa 120 Schiffen stattgefunden und war
um ein Haar vernichtend gewesen. Niemand hier hatte das vergessen.
Unterstützt wurden die Invasoren von maximal 200 Schiffen des wahnsinnig
gewordenen Prinzen Joran. Nein, korrigierte Sentenza sich sofort. Der Gedanke
enthielt gleich zwei Fehler.
Ersten war Joran nicht wahnsinnig geworden , er hatte seit jeher auf der
anderen Seite der feinen Trennlinie zwischen aristokratischer Arroganz und schierem
Irrsinn gestanden. Schon als Sentenza noch Mitglied der Flotte des Multimperiums
gewesen war – damals, in einem anderen Leben –, hatte er es gewusst,
so wie ein Tier spüren konnte, dass ein Unwetter nahte. Eigentlich, um
den anderen führenden Militärs des Großreiches Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen, hatten es die meisten gewusst. Viele hatten das Gefühl
ignoriert, weil Joran ihnen als der leichte und schnelle Weg zu Ruhm und Reichtum
erschienen war. Andere hatten darüber hinweg gesehen und die Eigenarten des Prinzen stillschweigend akzeptiert, weil es ein noch viel leichterer und
schnellerer Weg zu Ruin und Untergang war, das nicht zu tun – wie alle
eindrucksvoll bewiesen hatten, die es wagten sich dem Prinzen in Wort oder Tat
entgegen zu stellen. Einige wenige hatten gehofft, ihr Instinkt würde sie
trügen, und die Eskapaden Jorans waren nicht mehr als die Auswüchse
eines jungen Regenten, der sich noch die Hörner abstoßen musste,
oder schlichtweg Gerüchte, haltlose Übertreibungen. Immerhin galt
ihre Loyalität nicht ihm, sondern seinem Vater, der als Imperator so gut
und gerecht regierte, wie es eben möglich war. Hätten sie alle damals
geahnt, wohin der Wahnsinn Jorans sie führen würde, sie hätten
sich vermutlich zusammen geschlossen und ihn kurzerhand mit ihren eigenen Händen
erwürgt und aus der Luftschleuse geworfen, selbst wenn es sie den Kopf
gekostet hätte. Es gab viele in der jetzigen Armee der Alliierten, die
jeden Tag aufs Neue bedauerten, es nicht getan, sondern ihrem Prinzen weiterhin
gehorcht zu haben.
Und das war, so stellte Sentenza ohne Genugtuung fest, der zweite Fehler in
seinem Satz. Joran war kein Prinz
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