Rettungskreuzer Ikarus Band 043 - Kasernenwelt
überwachte.
Doch Sentenza hatte das Gefühl, dass sie das Maß an Verfall dieser
Welt bisher eher noch unterschätzt hatten. Wenn ihre Beobachtungen stimmten,
dann hielten sich die Bewohner der Kasernenwelt mit den Fingerspitzen an der
Klippe fest und wurden von einem heftigen Wind hin und her gebeutelt. Es würde
nicht mehr lange dauern – wenige Jahrzehnte, hatte Cortez anhand der Daten
geschätzt –, bis die Versorgungssituation so prekär werden würde,
dass Hungersnöte unausweichlich erschienen.
Die Ankunft des Transporters voller eifriger Rekruten würde die Situation
verschlimmern und das Ende beschleunigen. Einige Gründe mehr, etwas gegen
… gegen was auch immer zu unternehmen.
»Wir tauchen in die Atmosphäre ein«, meldete Sonja.
Die Ikarus schüttelte sich ganz sacht, als sie den Orbit verließ
und sich langsam in die oberen Luftschichten senkte. Sie flogen sehr behutsam,
um größere Verwerfungen in der Atmosphäre zu verhindern, vor
allem die unvermeidlichen Lichteffekte eines schnellen, heißen Eintritts.
Außerdem hatten sie es zwar eilig, wurden aber nicht gehetzt. Auch der
Transporter war bereits im Landeanflug und würde etwas später als
die Ikarus aufsetzen. Sentenza hatte sich mit Anande und An'ta verständigt,
dass sie sich zu Fuß auf den Weg zum Standort des Rettungskreuzers machen
würden. Die Gegend, die Shmer ihnen genannt hatte, war abgesperrtes Gebiet,
schwer verseucht, aber von nichts, was die gegen fast alles geimpften Besatzungsmitglieder
des Rettungskreuzers ernsthaft gefährden würde. Und die Gegend war
nicht weit vom Raumhafen entfernt. Sobald sie ein gewisses Vertrauensverhältnis
mit Shmer und seinen Leuten aufgebaut hatten, würden diese sicher in der
Lage sein, Anande und seine Gefährten zur Ikarus zu lotsen, ohne
aufzufallen.
Sentenza zwang sich zur Ruhe, setzte sich auf den Kommandosessel und beobachtete
seine Frau dabei, wie sie das Schiff steuerte. Trooid hätte es nicht besser
gekonnt. Die Ikarus schwebte sanft hinab wie eine Feder. Es gab so gut
wie keinen Luftverkehr. Obgleich die ganze Welt von einer einzigen gigantischen
Siedlung bedeckt war, flogen kaum Gleiter oder Flugzeuge umher. Es schien eine
Art unterirdisches Bahnsystem zu geben, und es existierten offenbar auch Oberflächenfahrzeuge,
aber alles in allem machte diese völlig zugebaute Welt einen viel zu verschlafenen
Eindruck.
Kein Funkspruch erreichte sie, kein Radarstrahl streifte den Rettungskreuzer.
Sentenza war es beinahe schon unheimlich. Unwillkürlich erwartete er jede
Sekunde, dass etwas schief ging. Er starrte auf den Hauptbildschirm, sah, wie
die Sekunden verstrichen, sich zu Minuten verbanden, wie die Höhenanzeige
immer kleinere Werte anzeigte.
Und niemand, der sie herausforderte, der sie fragte, der sie auch nur zu bemerken
schien. Fast wäre Sentenza dem Outsiderschiff dankbar dafür gewesen,
die Satelliten abzuschießen. Und erneut fragte er sich, ob tatsächlich
Outsider darin saßen, Flüchtlinge der jüngsten, großen
Niederlage, oder ob jemand anders sich dieses Schiffes und seiner beeindruckenden
Technologie bemächtigt hatte.
Er würde es früher oder später erfahren, dessen war er sich sicher.
»Wir landen in fünf Minuten«, unterbrach Sonjas sanfte Stimme
seine Gedanken. Für einen flüchtigen Moment suchte sie seinen Blick,
lächelte ihm warm zu, zwinkerte aufmunternd, als würde sie seine trüben
Gedanken erahnen. Nein, korrigierte sich Sentenza, als er das warme Gefühl
genoss, dass dieser Blick in ihm auslöste. Sie erahnte seine Grübeleien
bestimmt. Sie war seine Frau, und es gab niemanden sonst, der ihn so gut kannte.
Er lächelte zurück. Es war schön, so etwas wie ein Leben außerhalb
seiner Pflichten zu haben, auch wenn er derzeit nicht allzu viel davon hatte.
Es dauerte exakt die angekündigten fünf Minuten, dann setzte der Rettungskreuzer
auf. Sentenza betrachtete die Anzeigen. Infrarot und Abtastung ergaben erst
einmal nichts anderes als tote Gebäudereste, alles sehr verfallen. Der
Boden zeigte alarmierend hohe Verseuchungsraten mit Chemikalien und biologischen
Abfällen, außerdem gab es eine ungewöhnlich hohe Hintergrundradioaktivität.
Die Luft war mit einer Atemmaske atembar, die in ihr enthaltenen Schwebstoffe
lasen sich aber wie ein Chemikaliencocktail aus dem Labor eines verrückten
Wissenschaftlers. Was er über die Physiologie voll
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