Rettungskreuzer Ikarus Band 047 - Sudekas Traum
Legierung war fremd, entsprach aber den Parametern für eine stabile Hülle, wie man sie etwa für ein Raumfahrzeug herstellen würde. Und sie war einst im Weltall unterwegs gewesen, daran bestand kein Zweifel. Egal, wie sie hierher gekommen war, sie war kein Produkt dieser Welt. Ein außerirdisches Artefakt, daran bestand kein Zweifel.
Und Sudeka wollte es betreten.
Sie wanderte vorsichtig an der Wand entlang, bis diese einen sanften Knick machte. Nach weiteren zehn Minuten bekam Sudeka eine Vorstellung von einem oval geformten Grundkörper, der zu einem guten Drittel aus dem Fels ragte und offenbar seit langer Zeit hier ruhte, entweder gelandet zu einer Epoche, als dies noch über der Oberfläche lag, oder eingebrochen und versunken, mit mehr als genug Zeit für die Natur, die gerissene Wunde wieder zu schließen und das Artefakt zuzudecken. In jedem Falle musste eine ganz beträchtliche Zeitspanne vergangen sein.
Das Ding hier war nicht einfach nur alt, es war uralt, steinalt, so richtig, richtig alt!
Sudeka spürte, wie das Entdeckerfieber sie überkam. So hatte sie sich gefühlt, als sie damals, noch während des Aufbaus des Raumcorps, als sich alles gegen sie und ihre Pläne zu verschwören drohte, das große Vorkommen seltener Metalle gefunden hatte, ein Sonnensystem voller Schätze, komplexe Verbindungen, die man damals noch nicht hatte künstlich herstellen können – oder noch nicht wieder, da vieles der Technologie aus der Zeit vor der Großen Stille nicht wiederentdeckt worden war. Sie war damals begeistert, überwältigt gewesen und voller Energie, diesen Schatz zu heben und damit ein ordentliches Startkapital für das Raumcorps zu erwirtschaften.
So war es dann auch geschehen.
Und jetzt erfüllte sie das gleiche Gefühl: Neugierde, das Versprechen der Verwirklichung ungeahnter Möglichkeiten und der große Drang, diesen Fund sofort zu nutzen.
Sudeka gemahnte sich der Ruhe. Die Situation war jetzt eine andere. Das Raumcorps war in Aufruhr. Sie konnte nicht einfach zurückkehren und tun, als sei nichts geschehen. Sie musste ihre Verbündeten kontaktieren, Allianzen schmieden, die Kräfteverhältnisse abwiegen. Schwere Entscheidungen treffen. Vielleicht sogar sehr schwere.
Später.
Eines nach dem anderen.
Als Sudeka das fand, was sie für eine Schleuse hielt, war sie bereits wieder sehr gefasst und konzentriert. Die Öffnung war mehr als mannshoch, doch relativ schmal, und ein verwittertes Schott verschloss sie. Keine erkennbaren Kontrollen, kein manueller Mechanismus, gar nichts. Sie stand vor einer verschlossenen Tür. Natürlich konnte sie mit der Ausrüstung der Solaria alles Notwendige tun, sie aufschweißen vor allem. Aber etwas hielt sie davon ab, so destruktiv vorzugehen, und sie wusste nicht einmal genau, was es eigentlich war. Empfand sie Ehrfurcht vor der antiken Hinterlassenschaft? Das wäre ja ein ganz neuer Wesenszug an ihr gewesen. In der Vergangenheit war sie immer davon ausgegangen, dass alles, was ihr Profit brachte, auch genutzt werden konnte und sollte.
Sie fuhr mit der Hand über den verschlossenen Zugang. Wenn sich kein anderer Weg fand, würde sie Gewalt anwenden, mit Augenmaß zwar, aber Gewalt nichtsdestoweniger. Sie hatte keine Zeit für Sentimentalitäten.
Sie schrieb ihren inneren Aufruhr den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit zu, zog die Hand zurück, schloss die Augen. Eigentlich hatte sie eine Ruhepause verdient, die Gelegenheit, sich etwas zu sammeln, mit ihren Emotionen ins Reine zu kommen.
Doch, wie gesagt, es war keine Zeit.
Als sie sich abwandte, um die notwendige Ausrüstung aus der Solaria zu holen, knirschte es vernehmlich. Metallstaub tanzte in der Luft, als sich das Schott öffnete und Einblick in einen tiefen, schwarzen Schlund erlaubte.
Sudeka war herumgewirbelt und starrte hinein.
Das, dessen war sie sich sicher, war nicht nur gänzlich unerwartet.
Es sollte sie auf jeden Fall misstrauisch machen.
Es war zu dem Schluss gekommen, dass irgendein Kontakt besser war als gar keiner. Die Daten waren gewiss unvollständig, und das Bewusstsein war sich ziemlich sicher, dass es nicht mit voller Kapazität zu denken imstande war. Gedanken flossen wie zäher Brei, Kausalitäten und Korrelationen bildeten sich mit mühsamer Langsamkeit, als ob sich etwas nach endlos langer Pause erst wieder einüben musste. Die Assimilation der fremden Technologie war ein automatischer Impuls gewesen, eine fast schon instinktive Reaktion, die gar keiner
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