Rettungslos
Immerhin blutet die Wunde nicht mehr, der Schmerz hält dagegen unvermindert an, und die Hand
pocht nach wie vor, obwohl sie vorhin eine Paracetamol genommen hat.
Die Dunstabzugshaube brummt leise und saugt den Zwiebel- und Knoblauchgeruch ein.
Spaghetti isst Anouk besonders gern, und weil sie krank ist, hat Lisa schon am Morgen beschlossen, heute ihr Lieblingsgericht zu kochen, damit sie wenigstens ein paar Bissen zu sich nimmt. Inzwischen zweifelt sie daran, selbst auch nur einen einzigen hinunterzubekommen.
Die Kräuter auf dem Schneidebrett duften verlockend, trotzdem wird sie sich zum Essen zwingen müssen. Aber es ist wichtig, dass sie bei Kräften bleibt, vor allem jetzt in ihrer heiklen Lage.
Hin und wieder wirft sie einen Blick ins Wohnzimmer, zu Anouk hinüber. Kreuger hat sich zu ihr aufs Sofa gesetzt und redet leise auf sie ein, was Lisa kein bisschen beruhigt. Lisa wüsste zu gern, was Kreuger von ihr will. Jedenfalls scheint Anouk auf der Hut zu sein, mit angezogenen Knien sitzt sie in abwehrender Haltung da.
Besser wäre es, Anouk würde sich freundlich geben, entgegenkommend. Aber sie hat zu viel mitbekommen, um dem ungebetenen Gast wohlwollend zu begegnen. Um nichts Falsches zu sagen, beschränkt sie sich auf Nicken und Kopfschütteln und hat mittlerweile sogar das Jammern eingestellt. Stattdessen behält sie Lisa im Auge und ahmt deren Verhalten nach, gibt sich abwartend und reserviert.
Möglichst gelassen geht Lisa ins Wohnzimmer und deckt den Esstisch. Drei Sets, drei Teller, genau wie früher.
Wieder in der Küche, nimmt sie Besteck aus der Schublade. Keine Messer, nur Gabeln und Löffel, bei Spaghetti kein Problem.
Sie legt das Besteck neben die Teller, dazu einen Untersetzer für den Topf, und lauscht auf das, was Kreuger ihrer Tochter sagt.
»Du hältst mich bestimmt für einen bösen Mann, stimmtâs?«
Stille.
»Nun sag schon was!«, drängt Kreuger.
Anouks Blick begegnet dem ihrer Mutter.
Gib Antwort, bedeutet Lisa ihr.
Anouk holt tief Luft. »Ja. Du hast Mama geschlagen. Dabei hat sie nichts falsch gemacht.« Ihre Stimme klingt so vorwurfsvoll, wie es einer Sechsjährigen nur möglich ist.
Langsam streckt Kreuger die Hand nach ihr aus, und ebenso langsam weicht Anouk zurück. Lisa spannt sämtliche Muskeln an, wie eine Raubkatze, die zum Sprung ansetzt, um ihr Junges zu schützen.
Ganz vorsichtig, als könnte das Mädchen bei der leisesten Berührung zerbrechen, legt Kreuger die Hand an ihre Wange und streicht mit dem Daumen sanft über ihre Haut.
Anouks Miene verdüstert sich, anscheinend weià sie nicht recht, ob sie weinen oder Kreuger lieber in die Hand beiÃen soll.
»Deine Mama hat nicht getan, was ich wollte«, sagt er leise. »Und du auch nicht, aber dafür kannst du nichts. Ihr beide müsst mir von nun an gehorchen, sonst hat das böse Folgen, klar?« Seine Hand greift
nach ihrem Kinn, hebt es an. »Hast du das verstanden, Anouk?«
»Ja, das versteht sie. Wir beide verstehen es«, mischt Lisa sich ein.
Kreuger fährt herum. »Halt die Klappe!«, brüllt er sie an. »Ich rede mit deiner Tochter, nicht mit dir!«
Erschrocken macht Lisa einen Schritt rückwärts. »Ist ja gut, tut mir leid.«
Nach ein paar Sekunden hat er sich wieder gefasst. »Wenn ihr macht, was ich sage, passiert euch nichts. Dann bin ich demnächst wieder fort, und ihr könnt tun, als wäre nie etwas gewesen.«
Von wegen, du Mistkerl, denkt Lisa. Du hältst uns hier gefangen und machst meiner Tochter Angst. Das wird ihr noch jahrelang Albträume verursachen, und wenn nicht ihr, dann mir.
Mühsam bringt sie ein Lächeln zustande und nickt. »Gut, so machen wirâs. Ich kümmere mich jetzt wieder ums Essen, es ist gleich fertig.«
Â
»Schmeckt gut«, sagt Kreuger.
Sie sitzen am Tisch, Kreuger ihnen gegenüber. Er isst mit Appetit, aber gesittet, nicht wie der ausgehungerte Wilde vor ein paar Stunden in ihrer Küche. Bestimmt war er früher ein ganz normaler, unauffälliger Mann, überlegt Lisa, ein Ehemann und Familienvater, Arbeitnehmer bei einer Firma, ein Nachbar in einer gediegenen Wohngegend. Ein Mann, der seinen Kindern Tischmanieren beigebracht und seine Frau für ihre Kochkunst gelobt hat, ein aufmerksamer, fürsorglicher Mensch.
Sie essen schweigend. Nur der Fernseher ist zu hören â Kreuger hat darauf
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