Rettungslos
aufgeräumt, der Fernseher steht zu weit weg. Warum? Kam was über dich?« Es gelingt ihr, einen lockeren Ton anzuschlagen.
Hinter ihr bleibt es so lange still, dass sie die Frage schon bereut.
Dann tritt Kreuger neben sie, lehnt sich an die Küchenzeile und sieht sie forschend an.
»Was genau hast du mitbekommen?«
Mechanisch stellt Lisa zwei Tassen in die Espressomaschine.
»Nicht viel, wie gesagt. Gerade mal ein paar Worte â¦Â«
Kreuger verschränkt die Arme vor der Brust. »Die haben ein Foto von meiner Familie gezeigt. Plötzlich hatte ich sie vor mir, alle drei.«
Die Kaffeebohnen sind alle. Lisa ist froh, nicht sofort reagieren zu müssen, und füllt bedächtig nach. Dann nimmt sie allen Mut zusammen.
»Du hast drei Kinder?«
»Zwei«, antwortet er. »Einen Jungen und ein Mädchen, etwas älter als deine Tochter.«
»Ein Geschwisterpaar, wie schön. Das wünscht man sich doch, nicht wahr?« Sie hat Angst, dass er den falschen Unterton bemerkt.
»Kann sein.« Er klingt nicht so, als wäre damit ein Wunsch in Erfüllung gegangen.
Sekundenlang ist es still, dann schaltet Lisa das Mahlwerk an. Ein ohrenbetäubender Lärm setzt ein. AnschlieÃend drückt sie auf einen Knopf, und der Kaffee läuft langsam in die Tassen.
Was will Kreuger von ihr? Er ist sichtlich unruhig, vielleicht will er nur ein wenig reden? Im Prinzip kein Problem, allerdings kommt ein Gespräch mit ihm einem Gang durch ein Minenfeld gleich. Auf seine Frau darf sie ihn auf keinen Fall ansprechen, aber vielleicht will er über seine Kinder reden? Vermutlich leben sie bei Verwandten oder in einem Heim.
»Fehlen sie dir denn?«, fragt sie und hat dabei das Gefühl, mit verbundenen Augen von einem Turm zu springen.
Dass er sie grob am Arm packt, überrascht sie kaum.
»Warum sollten sie mir nicht fehlen? Du Miststück glaubst wohl, meine eigenen Kinder seien mir egal? Vielleicht geht das über deinen Horizont, aber ich hab auch Gefühle!«
Sein Gebrüll hallt durch die Küche. Lisa erschrickt, zuckt aber weder zusammen noch schlägt sie die Augen nieder. Mit äuÃerster Selbstbeherrschung legt sie die Hand auf seinen Arm.
»Selbstverständlich hast du Gefühle«, sagt sie leise. »Und selbstverständlich fehlen dir deine Kinder.«
Sein Zorn verfliegt so schnell, wie er gekommen ist. Er verzieht schmerzlich das Gesicht.
»Ich durfte sie nicht mehr sehen«, sagt er tonlos. »Nie mehr. Kannst du dir das vorstellen? Ich, ihr eigener Vater! Aber für den Richter zählte das nicht. Ich durfte sie nicht mehr sehen, und damit basta!«
»Das muss schlimm sein.«
»Ja â¦Â« Mit einem Mal wirkt er abwesend, als wäre er in Gedanken ganz woanders.
»Mein Ex hat auch versucht, mir Anouk wegzunehmen«, sagt Lisa.
Kreuger hebt die Hand und massiert sich die Stirn.
»Dass er extrem eifersüchtig war, hatte ich ja schon erwähnt.« Lisa hält Kreuger eine Tasse Kaffee hin. Er nimmt sie, trinkt aber nicht. »Das hat letztlich unsere Beziehung zerstört. Menno war auf buchstäblich alles eifersüchtig, auch dass ich beruflich vorankam und er nicht, hat ihn gestört. Er war Marktleiter bei einer gro Ãen Supermarktkette, wurde aber im Zuge von RationalisierungsmaÃnahmen entlassen. Von einem Tag auf den anderen saà er zu Hause und hatte unendlich viel
Zeit, sich mit mir zu befassen. Ich arbeitete in einem Forschungslabor in Utrecht und hatte eine Fahrgemeinschaft mit einem Kollegen. Ein netter Mensch, aber nur ein Kollege, nichts weiter. Nie hätte ich gedacht, dass Menno damit ein Problem haben könnte. Erst war es auch nicht so, doch als er arbeitslos war, machte er aus allem ein Problem. Ich habe ihm versichert, er könne sich auf mich verlassen, aber er hat mir nicht geglaubt. Erst als ich mit Anouk schwanger war, lief es wieder besser, genauer gesagt nach ihrer Geburt.«
Lisa trinkt einen Schluck Kaffee und sieht Kreuger kurz an.
Mit leiser Stimme erzählt sie von ihrer Wochenbettdepression, davon, wie düster und trostlos ihr damals alles vorgekommen sei.
»Menno hat sich sehr um mich gekümmert. Inzwischen hatte er wieder Arbeit, nahm mir aber trotzdem ab, was er nur konnte: Einkäufe machen, mit Anouk zur Mütterberatungsstelle gehen und so weiter. Meine Welt wurde währenddessen immer kleiner. Für mich spielte sich das Leben
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