Return Man: Roman (German Edition)
angestrengt nach, tastete sich in die Vergangenheit zurück und versuchte, sich an alle Details von Rogers Privatleben zu erinnern. Auch wenn sie noch so belanglos erschienen. Vielleicht irgendein abgeschiedenes Café oder ein stiller Buchladen. Hatte Roger solche Orte jemals erwähnt?
Nein. Cedars-Sinai. Mehr Anhaltspunkte habe ich nicht. Da arbeitet man nun drei Jahre Seite an Seite, und ich habe den Typen kaum gekannt. Als ob er überhaupt kein Leben außerhalb der Arbeit gehabt hätte. Super, Henry. Du bist wirklich ein guter Freund.
Er seufzte. Aber was spielt das noch für eine Rolle? Wenn Roger nicht mehr hier ist, sind wir sowieso angeschissen. Wu und ich sind schon halb tot. Wir haben nicht mehr die Kraft, weiter nach ihm zu suchen. Ich bezweifle, dass wir es überhaupt noch bis nach Los Angeles schaffen würden.
Nur gut, dass ich Osbourne keine Geld-zurück-Garantie angeboten habe.
Vor einer Stunde hatten Marco und Wu sich auf die Plattform des Turms gehockt und kaltes Trockenfleisch zu Abend gegessen. Schweigend– sie waren zu erschöpft, um etwas anderes zu tun, als Nahrung in ihre leeren Mägen zu schaufeln. Wu kaute langsam. Seine Augen waren unfokussiert und schienen in die Ferne zu schweifen. Schließlich schob er sich den letzten Bissen Trockenfleisch in den Mund und öffnete eine Reißverschlusstasche am Hosenbein.
Er zog ein Foto heraus und warf es Marco wie eine Frisbee-Scheibe vor die Füße.
» Was ist das?«, fragte Marco.
» Sarsgard.«
Marco wischte sich an seinem blutverschmierten Hemd die Finger ab und hob das Foto auf. Es war eine körnige Schwarz-Weiß-Aufnahme des Gefängniskomplexes– die rechteckigen Zellenblöcke waren hufeneisenförmig um den Gefängnishof angeordnet. Das Bild war aus großer Höhe aufgenommen worden.
» Ein Satellitenbild?«
Wu nickte.
Marco blinzelte im schwindenden Licht und hielt sich das Foto dicht vor die Augen. Das Gelände zwischen den Gebäuden schien von schwarzen Punkten nur so zu wimmeln. Leichen.
» Wie sind Sie denn da drangekommen«, fragte er.
» Beim Briefing.«
» Und welcher von diesen Punkten ist Roger– falls er überhaupt dabei ist?«
Wu zog eine Augenbraue hoch. » Sollten Sie das nicht eher mir sagen?«
» Schon gut, entspannen Sie sich. Wo ist hier das Krankenhaus?«
» Es schließt sich an die Zellenblöcke an. Unten im Bild.«
Marco berührte das Foto mit einem Finger. Ein separates rechteckiges Gebäude war durch einen langen Verbindungstunnel mit den Zellenblöcken verbunden. Das Krankenhaus. Es befand sich auf der anderen Seite des Hufeisens, war dem Gefängnishof also abgewandt. Deshalb hatte er es von seinem vorherigen Beobachtungspunkt an der Gefängnismauer auch nicht gesehen. Er tippte zweimal darauf.
» Ich nehme an, dass Roger dort gearbeitet hatte?«
Wu nickte wieder.
» Falls er sich also irgendwo an diesem gottverdammten Ort befindet, dann wird er genau dort sein«, erklärte Marco. » Da wären Sie auch ohne meine Hilfe drauf gekommen.«
Wu zuckte die Achseln. » Ich wollte nur sicher sein, dass wir einer Meinung sind. Die Krankenstation.«
» Roger hat rund um die Uhr gearbeitet, als er noch lebte. Also müsste er sich nun dort aufhalten. Und so, wie ich Roger kenne, werden wir seine Leiche dabei beobachten, wie sie die Skalpelle der Größe nach sortiert.«
» Ihn rauszuholen dürfte aber schwierig werden«, gab Wu zu bedenken. » Der einzige Weg zur Krankenstation führt durch den Eingang des Haupttrakts.«
» Mit anderen Worten, vorbei an hundert Leichen.« Marco warf den Rest seines Trockenfleischs über den Rand der Plattform. Ihm war der Appetit vergangen.
Er studierte das Foto. » Der Sportplatz ist mit dem Haupttrakt verbunden. Wir könnten den Lkw nehmen, auf den Hof brettern und dann reinstürmen.« Er seufzte. » Zu schade, dass Roger kein Basketball spielte. Es wäre viel einfacher, wenn er draußen ein paar Körbe werfen würde.«
Der Scherz kam bei Wu nicht an. Der Sergeant musterte ihn nur ausdruckslos. » Wir sollten uns etwas ausruhen«, sagte Wu. » Wir werden im Morgengrauen reingehen. Vielleicht kommen wir sogar an der Menge vorbei, bevor sie noch richtig wach ist.«
» Ja, aber auch die besten Pläne können scheitern. Ich würde mich nicht darauf verlassen.«
Nun lag Marco auf dem Boden, und sein Arm wurde schon wieder taub. Er wickelte sich die Decke noch etwas fester um die Schultern, legte sich auf das provisorische Kissen und schaute über den Rand der Plattform. Von
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