Revelations
langsam Hunger. Immerhin hatte sie ja eine gefühlte Ewigkeit auf Cassidy und Jiao warten müssen. Mit zunehmender Sorge wühlte sie im mitgeführten Verpflegungspaket. Da gab es jede Menge Sandwiches mit süßer Konfitüre, Honig, Käse, Eier und natürlich Muffins aber kein einziges Stück Fleisch.
»Oh, das könnt ihr ja noch nicht wissen«, beantwortete Jiao ihre verdutzten Blicke. »Ich bin Vegetarierin und esse kein Fleisch.«
»Und warum?«, fragte Cassidy neugierig.
»Naja ... es ist totes Fleisch!«, erwiderte Jiao mit einem verständnislosen Schulterzucken. »Der Gedanke daran widert mich bereits an.«
»Wäre es dir lebendig lieber?«, stichelte Dog von der Rückbank, woraufhin Jiao frustriert seufzte.
»Natürlich nicht«, nörgelte sie hervor. »Keiner in der Biosphäre hat das je verstanden. Akzeptiert es einfach, okay?«
»Hast du nicht gesagt, die Hälfte von eurem Fleisch kommt aus dem Labor?«, wunderte sich Cassidy.
»Schon, aber auch dafür werden noch Stammzellen von echten Tieren gebraucht.«
»Agnes war Vegetarierin«, murmelte Angel nachdenklich und erinnerte sich dabei an ihre häufig missverstandene Freundin, nach deren gewaltsamem Tod sie die Seiten gewechselt hatte. »Dürfen wir in deiner Anwesenheit kein Fleisch essen?«
»Nein, so ist das nicht«, wiegelte Jiao ab. »Was ihr macht, ist mir egal, solange ihr die Tiere nicht vor meinen Augen ausweidet, aber eigentlich sollte ich ja allein auf diese Mission gehen, weswegen Maxwell mir nur vegetarisches Zeug eingepackt hat. In Arnac gibt es Fleisch zu kaufen, wenn ihr risikofreudig seid.«
»Kaufen?«, wiederholte Cassidy, die noch nie in ihrem Leben mit Geld bezahlt hatte. Daraufhin holte Jiao ein kleines Ledersäckchen hervor, in der Kupfermünzen mit dem Konterfei des ersten sicariianischen Imperators herumklimperten. Der Name Marcus Avianos war im Halbkreis hineingestanzt worden. »Die haben sich bereits kurz nach dem globalen Untergang vom Tauschhandel abgewandt. Damit kann man einfach kein größeres Reich kontrollieren.«
»Und die paar Kupferstücke werden stattdessen ohne Weiteres akzeptiert?«, argwöhnte Dog. »Die könnt ihr doch sicher selber herstellen!«
»Theoretisch, ja«, gab Jiao zu. »Aber ein Teil des Abkommens besagt, dass wir das nicht dürfen. Mit unseren Medikamenten und Forschungsunterlagen haben wir ohnehin mehr als genug Eigenkapital.«
»Wie lange gibt es die Sicarii eigentlich schon?«, fragte Angel.
»In der jetzigen Form als selbsternanntes Imperium seit zwei Jahrzehnten, allerdings existierten sie bereits lange vor dem Kollaps als isolationistische Weltuntergangssekte. Ihre Gemeinschaft besaß ein weiträumiges Farmland mit großen Viehherden und eigenen Industriezweigen, wie beispielsweise deren Ölquellen. Dort konnten sie fast alle Versorgungsgüter selbst produzieren und sich von der Welt abschotten. Nach dem globalen Zusammenbruch hatten sie regen Zulauf und sind aufgrund des Wegfalls staatlicher Autoritäten schnell zur Großmacht aufgestiegen. Seit dem haben die Sicarii ihr Reich immer weiter ausgedehnt, bis sie auf uns gestoßen sind.«
In diesem Moment begann das Funkgerät auf der Mittelkonsole zu knistern.
»Violet, hier Basis. Ihr nähert euch den Keltenhügeln. Fünf Klicks westlich befindet sich ein Sicariikonvoi im Gefecht mit unidentifizierten Angreifern.«
Gleichzeitig schaltete sich der Bildschirm ein und zeigte kurz darauf Livebilder einer Aufklärungsdrohne.
»Die beobachten uns?«, flüsterte Cassidy unruhig.
»Na sicher«, antwortete Jiao völlig selbstverständlich. »Dachtet ihr, mein Vater lässt mich ziehen, ohne mir permanent über die Schulter zu sehen?«
»Und nun?«, fragte Angel zurückhaltend und überließ vorerst bewusst Jiao die Entscheidungen.
Sie stoppte den Wagen und zoomte das Bild der Angreifer näher heran. Es schien ein knappes Dutzend Männer bewaffnet mit Baseballschlägern, Brechstangen und kleinkalibrigen Pistolen zu sein, die einen Konvoi aus zwei Pick-ups und einer alten Familienkutsche umstellt hatten. Den vielen Waren auf den Ladeflächen nach zu urteilen handelte es sich um zivile Händler, die über keine nennenswerte Eskorte verfügten und sich mit ein paar veralteten Jagdflinten zur Wehr zu setzen versuchten. Der Kombi war allerdings derart ungünstig zum Stehen gekommen, dass die Angreifer einen permanenten Flankenangriff durch eine breite Lücke zwischen den Wagen ausführen konnten, ohne sich selbst in echte Gefahr zu
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