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Revelations

Revelations

Titel: Revelations Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Fischer
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entglitt ihm unwiederbringlich. Mit dem letzten Atemzug hauchte er Cassidy ein Wort entgegen, dass ihr und Angel einen Adrenalinstoß mitten ins Herz versetzt: »Johnny!«
    Cassidy fühlte, wie er in ihren Armen zusammensackte und leblos zu Boden sank. Einen Augenblick lang standen ihr die Tränen in den Augen, doch dann riss sie ihr Sturmgewehr vom Rücken und zielte wutentbrannt auf die Sicarii.
    »Wer zum Teufel seid ihr?«, fragte der Händler mit dem Doppelkinn. Dog und Jiao hielten die drei noch immer regungslos von zwei Seiten in Schach.
    »Deine Entscheidung«, flüsterte Angel ihrer Schülerin zu und würdigte die verängstigten Männer dabei keines Blickes.
    Cassidy erinnerte sich an ihre Lektion in Sienna, wo Angel kaltblütig zwei Vultures erschossen hatte, damit sie ihr Team nicht verraten konnten. Nun waren die Positionen vertauscht und Cassidy musste zum ersten Mal selbst über eine Hinrichtung entscheiden. Trotz der Sonnenbrille vermochte sogar ein Blinder die Trauer und die Wut um den verlorenen Freund in ihrem jungen Gesicht abzulesen.
    Für Dog war die Sache klar. Wenn Cassidy den Abzug nicht betätigen wollte, würde er mit Vergnügen den Henker für sie spielen. Das Mädchen blickte zu Jiao, die sich die ganze Zeit nicht einen Millimeter gerührt hatte. Sie war ein paar Jahre älter als Cassidy, aber weitaus naiver, was die Konflikte in der Endzeitwelt anging, wie sie am heutigen Tag festgestellt hatte. Noch vor zwölf Stunden hätte sie die Sicarii ohne Frage laufen lassen, doch inzwischen verstand sie, dass es um deutlich mehr ging, als ihre Neutralität zu wahren. Sie stand mit dem Rücken zu Cassidy, den linken Arm eng am Körper, den rechten ausgestreckt und mit der vernickelten Pistole in der Hand auf die verängstigten Männer gerichtet. Sie drehte ihren Kopf herum, blickte durch ihre violette Haarsträhne hindurch und war froh, nicht selbst entscheiden zu müssen. Die Sprachlosigkeit ihres Vaters verwunderte sie ein wenig, denn eigentlich mischte er sich in nahezu alle ihre Reisen ein. Sie war vollkommen davon überzeugt, dass er das Geschehen vor seinen Bildschirmen mitverfolgte.
    »Verschwindet!«, entschied Cassidy schließlich und senkte ihr Gewehr. Etwas unsicher darüber, ob auch der schnaufende Hüne ihrer Anweisung auf freien Abzug folge leisten würde, sprangen die Händler schnellstmöglich in ihre beiden Pick-ups und sahen zu, dass sie Land gewannen. Die Familienkutsche ließen sie zurück, da Jiao den Wagen völlig eingeparkt hatte und sie viel zu eingeschüchtert waren, um dagegen zu protestieren.
    »Willst du ihn begraben?«, fragte Angel und strich ihrer Schülerin dabei über die Schultern.
    »Hätte ich sie erschießen sollen?«, erwiderte Cassidy. »Was ist, wenn die uns jetzt verraten?«
    »Dann werden wir mit den Konsequenzen leben«, antwortete ihre Ausbilderin, ohne ihr unrealistische Hoffnungen auf eine Läuterung der hochnäsigen Händler zu machen. »Das bedeutet es, Entscheidungen zu treffen.«
    An Angel war wirklich keine Seelsorgerin verloren gegangen, aber es war gerade die unbequeme Offenheit, aufgrund derer Cassidy ihr vollkommen vertraute.
    »Wichtig ist, dass du dir morgen noch in den Spiegel sehen kannst«, fügte sie hinzu, was von Jiao mit großer Anerkennung gewürdigt wurde.
    Für ein echtes Begräbnis fehlte ihnen die Zeit, daher reihten sie die Toten abseits der Straße auf. William erhielt von Cassidy ein Schild mit seinem Namen und einem Abschiedsgruß von Caiden und ihr. Angel legte eine Nachricht für Johnny dazu. Sie verfasste sie anonym, bezeichnete ihn stattdessen als den Dicken, was er definitiv verstehen würde, und unterzeichnete als Vulturebraut, obwohl sie diese Bezeichnung immer gehasst hatte. Sie wies ihn an, keinesfalls impulsive Eigenaktionen durchzuführen, sondern auf ihr Signal zu warten. Über den Verbleib des Rettungskonvois und seiner Freundin Kim hielt Angel sich bedeckt, da es keine Garantie gab, dass er die Botschaft auch wirklich erhalten würde. Insgeheim schöpfte sie wieder Hoffnung. Johnny besaß ein außergewöhnliches Improvisationstalent und könnte die Sicarii wochenlang beschäftigen, sollte es nötig werden.
     
    ***
     
Die Sonne hatte sich während des ungeplanten Gefechts stetig dem Horizont genähert und Jiao drängte zur Eile, wenn sie nicht bei Nacht mitten durch das Sicariigebiet fahren wollten. Kaum hatten sie die felsige Einöde verlassen, säumten hochstehende Getreidefelder und dicht verschlossene

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