Revelations
Nutztiere einen geeigneten Lebensraum benötigen. Mit ihrem berufsbedingten Einfallsreichtum hatten sie es außerdem geschafft, Technologien zur Erzeugung von Ersatzfleisch aus Stammzellen wiederzuentdecken, um den Speiseplan abzurunden und die Massentierhaltung zu begrenzen. Künstliche Protein- und Vitaminpräparate sorgten ohnehin für eine jederzeit ausgeglichene Ernährung.
Cassidy hätte am liebsten den ganzen Tag im Zoo verbracht, aber Jiao konnte sie davon überzeugen, dass noch andere Bereiche der Biosphäre auf sie warteten. Manche Tore waren allerdings fest verschlossen. Jiao erklärte Cassidy, dass sich dahinter Reinräume zur Medizinherstellung oder schwere Maschinenanlagen der Stromerzeugung und Wasserversorgung befanden, in denen es zu gefährlich für sie sei.
Ein leergeräumter Zugangstunnel im westlichen Teil der Biosphäre war jedoch schon sehr weiträumig abgesperrt worden. Rote Warnleuchten an den Wänden und zwei aufmerksame Wachsoldaten hielten sogar die einfachen Bewohner der Anlage davon ab, die Labore zu betreten. Jiao gab vor, selbst nicht zu wissen, an was ihr Vater und sein innerer Kreis von Wissenschaftlern im Segment mit der Bezeichnung »NOVA« arbeiteten. Vor dem Krieg mit den Sicarii hatte es keine vergleichbaren Sicherheitsmaßnahmen gegeben. Als Dr. Webb mit einem Kaffeebecher in der Hand aus dem abgesperrten Sektor kam, setzten sie ihre Besichtigungstour in den offenen Bereichen der Biosphäre fort, damit Cassidy nicht unnötig Ärger bekommen würde.
***
Nachdem Kim von den Luftaufnahmen aus sicariianischem Gebiet erfahren hatte, unternahm sie einen erfolglosen Versuch, Einsicht in Fotos von Brackwood oder dem Pass über die Berge zu erhalten. Zhang Yuen dementierte wiederholt die Präsenz eigener Drohnen in den südlichen Wastelands. Und selbst wenn es Aufnahmen des Passes gäbe, würde man sie ihr nicht einfach zeigen, nur weil sie darum ersuchte. Mit großen Worten erklärte er ihr, dass sämtliche taktisch relevanten Informationen der Geheimhaltung unterlägen.
Als Kim gegen Mittag gemeinsam mit Butch zum Essen in der Kantine eintraf, behauptete sie, die kalten Blicke der Biosphärenbewohner auf ihrer Gänsehaut spüren zu können. Dannys Hubschrauberbesatzung saß zusammen mit einem älteren Soldaten an einem Tisch in der Ecke und hatte das Geplänkel an Bord offensichtlich noch nicht vergessen. Erst als sich Sergej mit seinem Bruder Jurij ungefragt zu Kim und Butch setzte, löste sich die Spannung.
»Ihr kriegt wohl nicht oft Besuch, oder?«, fragte Kim, um ein Gespräch anzustoßen und sich dankbar für die Gesellschaft zu zeigen.
»Das ist die A-Mannschaft«, nuschelte Sergej mit vollem Mund und zeigte auf Danny. Er verschlang sein halbes Hähnchen mit den Händen, wie es sich für einen Barbaren aus der Wüste geziemte.
»Das heißt ... was?«
»Das heißt, dass die von Beginn an zur Crew gehörten«, erklärte Jurij, nachdem er den vorangegangenen Bissen heruntergeschluckt hatte. Als angehender Arzt zeigte er etwas mehr Fingerspitzengefühl als sein Bruder und nutzte Besteck, um sein Essen zu zerkleinern. »Danny und seine Leute sind Nachkommen der Stammbesatzung der McKnight Air Force Base. So wie Jiao. Der Alte da neben ihm ist Gordon. Der war früher Hubschrauberpilot, bis Jiao ihn seinen Job gekostet hat.«
»Die haben es nicht gern, wenn sich Fremde in ihrer Biosphäre breitmachen«, fügte Sergej hinzu. Dabei beugte er sich über den Tisch, damit ihn die anderen in der Ecke nicht hören, wohl aber sein verschwörerisches Verhalten sehen konnten. Er grinste hämisch in Dannys Richtung, ehe er seinen Kopf zurückzog und den Flügel von seinem Huhn abriss.
»Sind aber zum Glück nicht alle so«, beruhigte sie Jurij. »Fletcher und seine Jungs sind in Ordnung und Jiao wickelt eh fast alle um den Finger.«
»Ganz besonders Leon!«, lachte Sergej und klatschte sich dabei mit seinem Bruder in die Hände. »Nur Danny und seine Spinner würden sich am liebsten von der Welt abkapseln.«
»Ignoriert die einfach und geht ihnen aus dem Weg«, empfahl Jurij.
Butch und Kim schwiegen, um sich nicht versehentlich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Sie folgten dem Rat und verließen den Speisesaal zur selben Zeit wie Jurij und Sergej. Butch verabschiedete sich kurz darauf und wollte das Aquarium im Erholungsraum genauer untersuchen.
Kim kehrte allein in ihr Quartier zurück, wo sie stumm die Beine auf dem Bett zusammenzog und sich fragte, was sie die nächsten
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