Revolution - Erzählungen
er.
Im Walkie-Talkie knarrt Haikos Stimme. »Jarno, wo steckst du?«
»Das weiß ich eben nicht«, antworte ich. »Wir versuchen, den Weg zum Keller zu finden. Ich habe keinen Schlüssel für die Vordertür.«
Wir sind im zweiten Stock. Der Bursche zeigt auf das zerbrochene Fenster und sagt: »Ich könnte hier herunterklettern … und übers Dach verschwinden.«
»Nein, das geht nicht mehr. Sie sind dort unten, sie stehen bereit. Sie wissen, dass du hier bist, und ich kann meinen Job verlieren. Ich würde dich ja gern laufen lassen, aber …«
Wir stehen uns in dem dunklen Kaufhaus gegenüber. Er denkt bestimmt daran, wegzulaufen und sich zu verstecken. Aber es gibt die Hunde. Noch immer hat er seine Sturmhaube über dem Kopf.
»Zieh die Mütze aus«, sage ich. Er macht es. Nur ein Junge. Sechzehn Jahre alt, schwarz gekleidet, Pickel. Er hat’s getan, er hat die Filme gesehen. Und jetzt hat er Angst. Er tut mir leid. Endlich finden wir den Weg nach draußen, ich lege dem Jungen einen Arm über die Schulter. Öffne die Tür. Davor steht ein Polizist mit gezogener Pistole.
»Hey, John Wayne«, sage ich. »Es ist nur ein Junge, der … ihr wisst schon.« Ich zucke die Achseln. Ein anderer Polizist legt dem Jungen Handschellen an, und ich muss mit aufs Revier, um als Zeuge auszusagen. Ich betone noch einmal: »Hey, wisst ihr, dieser Junge, kommt schon! Er ist ein kleines Kind.«
»Er ist ein Verbrecher«, erwidert der Beamte. Ich fahre zu einem Bürogebäude und besorge mir eine Flasche Wein. Ja, sicher bin ich erschüttert. Ein kleiner Junge. Steht in der Jagdabteilung und wartet auf den schwerbewaffneten Wachmann – und trifft auf Michael Jackson mit dreadlocks . Wir haben beide unsere guten Erinnerungen.
Zu Hause überfliege ich das Handbuch, in dem beschrieben wird, wie die Arbeit zu erledigen ist. Ich würde gern wissen, was ich tun soll, wenn ich in irgendetwas hineingerate. Im Handbuch steht, man soll sich an die stationären Posten am Hafeneingang wenden, wenn man Zeit hat. Ich bin einsam. Vielleicht kann ich mir eine Tasse Kaffee besorgen, eine Zigarette rauchen, in der Nacht ein bisschen reden.
Die Nacht ist weiß; alles ist erleuchtet von Straßenlaternen, dem Widerschein von frischem Schnee und den Glasfassaden der Bürohäuser. Bei Stockman klaue ich eine Spiegelglassonnenbrille mit der Südstaatenfahne auf jedem Brillenglas: roter Hintergrund, das blaue X in der Mitte, die weißen Ränder und die Verzierungen mit den weißen Sternen. Die Sterne dringen durch die Augäpfel. Ich fahre in einem Opel Ascona durch die Nacht und höre einen mächtigen dub . Perfektioniere in den Kurven meine Schleudertechnik auf der spiegelglatten Fahrbahn. Ich habe einen Haufen Schlüssel, eine Taschenlampe, ein Walkie-Talkie und eine Uniform. Ich gehe um vier Uhr nachmittags zur Arbeit und höre am nächsten Morgen um acht Uhr auf. Im Gesetz heißt es, man dürfe nicht mehr als acht Stunden am Tag fahren. Ja, ja. Vierzehn bis sechzehn Stunden, das ist bei uns normal – fahren und kontrollieren. Wenn du zwei Stunden gearbeitet hast, kannst du dich problemlos mal für eine Stunde ausruhen – das kommt darauf an, wie ernst du die Sache nimmst und wie geschickt du bist. Ich habe Vorlesungen an der Universität, also bin ich gezwungen, zwischendurch mal ein bisschen zu schlafen. Wer den Job nach Vorschrift macht, schafft es nie, das ist einfach nicht drin. Mindestlohn. Ich fahre in ganz Helsinki herum, auch in den Häfen. Stockman, die großen Schlachtereien, die amerikanische Botschaft, der staatliche Rundfunk, die Büros von Finnair. Die Arbeit kann kontrolliert werden: Ich habe einen Schlüssel, den ich in spezielle Stempeluhren stecken muss, die an besonderen Punkten in den Gebäuden angebracht sind. Bei dieser Uhr handelt es sich um eine kleine runde Metallbox mit einem Schlüsselloch. Der Schlüssel muss innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens gedreht werden, das wird dann in der Stempeluhr mit einer Kerbe auf einer Papierscheibe registriert – exakt zum Zeitpunkt der Drehung.
In einem Gebäude gibt es zwei Treppenaufgänge, eine Vordertreppe und eine Feuertreppe. Eigentlich soll ich zwischen diesen beiden Treppen hin- und herpendeln, so dass ich rein physisch jedes Stockwerk einmal durchquere. Auf jeder Seite muss ich den Schlüssel hineinstecken und drehen. Wenn ich es nicht tue, würde auf der Papierscheibe eine Markierung fehlen. Aber alle gehen einfach ein Treppenhaus hinauf und das andere wieder hinunter
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