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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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und drehen dabei die Schlüssel in den Stempeluhren. Denn grundsätzlich: Wer könnte daran ein Interesse haben? Die Wahrheit käme nur heraus, wenn jemand die Zeitmarkierungen auf den Papierscheiben kontrollieren würde: In den einzelnen Stockwerken ist nie jemand von uns gewesen.
    Bei der Wachgesellschaft wird ein Neger eingestellt. Ich lächele, als ich ihn sehe. Er lächelt nicht. Er schaut auf meine Sonnenbrille.
    »Weißt du, was sie bedeuten?«, fragt er mich auf Finnisch, ohne Akzent.
    »Bedeuten?«
    »Diese Fahnen auf deinen Brillengläsern«, sagt er. Klar weiß ich das: rot ist Blut, blau ist die Sehnsucht, und die Sterne sind der Traum von Zion.
    »Nein«, sage ich.
    »Das ist die Südstaatenflagge – die Kriegsfahne der Konföderierten während des amerikanischen Bürgerkriegs. Die Konföderierten kämpften für den Erhalt der Sklaverei.«
    »Ja«, erwidere ich. »Und sie haben gewonnen.«
    »Was meinst du?«
    » Tsk «, schnalze ich und gehe zur Kaffeemaschine. Ich gieße meinen Becher voll und schlendere zum Auto. Adoptivneger.
    Hotels – ganz ausgezeichnet. Ich kann essen. Es ist fantastisch. Ich gehe in die Küche. Nachts ist hier niemand. Auch in den Küchen, die in den Bürohäusern der großen Firmen liegen: massenhaft Futter. Ich nehme mir, was ich mag, habe meine Finger im Essen der großen Chefs. Aber ich passe auf. Wasche mir erst die Hände, damit sie sich nicht an meinen Bakterien anstecken, wenn ich gepisst habe. Der ganzen Geschäftsleitung könnte am nächsten Tag der Hummer nicht bekommen, wenn ich nicht achtgebe. Es ist ein Kampf. Ich kenne die Büros mit den guten Küchen, und im Laufe der Nacht fahre ich sie drei Mal an. Beim ersten Mal gibt es vielleicht noch jemanden, der Überstunden macht, also mache ich, was ich machen muss, und kontrolliere ihn. Ich habe die Verantwortung, mit dreiundzwanzig Jahren und Bierpickeln. Ich spiele mich beim Chef auf, wenn er noch da ist: »Wer sind Sie?«
    »Ich bin hier der Chef.«
    »Okay, lassen Sie mich irgendeine Legitimation sehen, Ihren Ausweis.«
    Mitten in der Nacht bekomme ich Hunger, jetzt muss ich geschickt vorgehen. Ich habe diese Schlüssel, und der Zeitpunkt, an denen ich sie umdrehe, wird registriert und durch Stichproben kontrolliert. Geht irgendetwas schief, wird die Sache garantiert untersucht. Wenn ich mir fünfzehn Minuten Zeit nehme und ein nettes Abendessen mit Wein verspeise, lande ich in der Scheiße. Ja, mich kontrolliert meine eigene Firma; sie sind nicht sonderlich streng, aber es gibt Grenzen. Ich habe drei Minuten, um in diesem Bürohaus zu essen, dann kann ich ins Hotel gehen, um mir noch einen Snack zu besorgen – eine halbe Lasagne würde mir guttun, selbst wenn sie kalt ist; nie reicht die Zeit, um das Essen aufzuwärmen. Ich esse im Gehen. Die Teller … werfe ich in die Nacht.
    Läden … ich bin vernünftig. Ich nehme mir so gut wie nichts. Dinge verschwinden, sicher. Sonnenbrillen, Lebensmittel, Kleidung, Schuhe, Golfbälle. Sie landen höchstens in der Statistik für gestohlene Waren, nicht jeden Morgen gibt’s eine Inventur. Moral? Ein Freizeitvergnügen für Wohlhabende. Ich halte mich an die schlichteren Freuden, probiere dieses neue bügelfreie Hemd mit den schmalen Streifen – es kleidet Jarno.
    Die Universität? Nein, da läuft nicht sonderlich viel. Ernsthafte stumme Finnen, unnahbare Mädchen.
    Es herrscht Tauwetter, obwohl es mitten im Winter ist. Ich halte am Flughafen und sehe die Flugzeuge starten – ihre Lichter segeln über den Nachthimmel.
    Die Arbeit. Die Supermärkte. Gemüse und Fleisch abgepackt in Plastikschalen und Haushaltsfolie. Einen anderen Unterschied gibt es zwischen Afrika und Europa nicht. Tausend Jahre Entwicklung – vakuumverpacktes Fleisch. Der Asphalt auf den Straßen, die Straßenlaternen, die Abwasserkanäle, die Fernwärme. Zerbrechlich. Weiße Menschen arbeiten immer. Schwarze Menschen setzen sich und reden. Es ist dunkel, wenn ich zur Arbeit gehe, und dunkel, wenn ich morgens Feierabend habe. Asphalt. Kühltheken. Straßenbeleuchtung. Ich fahre zurück. Gehe auf matschigen Bürgersteigen nach Hause. Sonntagmorgen. Ich habe Geburtstag. Vierundzwanzig Jahre alt. Die Luft ist scharf und kalt. Die Platten des Bürgersteigs liegen in einer ununterbrochenen Linie perfekt ausgerichtet nebeneinander, die Fassaden der Wohnblöcke sind flach und ausdruckslos. Die Menschen hasten an mir vorbei, ohne auf irgendetwas direkt zu schauen. Nur auf die Schaufensterdekorationen. Die

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