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Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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Ufer und sind sofort von Kindern umringt. Sie zeigen auf die Konturen Afrikas, die auf meinen Oberarm tätowiert sind, plappern und lächeln. Die Erwachsenen blicken weiter auf den See. Sie sind merkwürdig still. Ich stelle den Motor ab. Sehe keine Fischkörbe. Ein älterer Mann mit einer Baseball-Kappe kommt auf uns zu. Ich grüße. Als ich frage, wie es ihm geht, schüttelt er bloß den Kopf, sagt nichts. Die Kinder drängen sich um uns, werden leise. »Wir sind auf dem Weg nach Moshi und wollten uns erkundigen, ob wir Fisch kaufen können«, erkläre ich auf Swahili.
    »Es gibt noch keinen Fisch.« Er bemerkt meine Verwunderung über sein seltsames Verhalten. »Ein Junge ist ertrunken«, fügt er hinzu.
    »Nein …«, stammele ich. Sigve drückt meine Schulter.
    »Was sagt er?«
    » Pole sana «, sage ich und drehe mich zu Sigve um. Auf Englisch erzähle ich, dass ein Junge ertrunken ist – sie tauchen, um seine Leiche zu finden.
    Sigve schweigt, dann schluckt sie. »Können wir irgendetwas tun?«, fragt sie mit belegter Stimme. Ich drehe mich zu ihr um. Ihre Augen schimmern. Sie sieht den Mann an.
    »Nein«, sage ich zu ihr. »Wir müssen fahren.«
    »Aber … sollen wir ihnen Geld geben … für ein Begräbnis?«
    »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt.« Wieder drehe ich mich um. Der Mann steht noch an derselben Stelle und blickt leer vor sich hin. Ich verabschiede mich. Er erwidert den Gruß. Ich klappe den Kickstarter heraus. Er sagt den Kindern, sie sollen dem Motorrad nicht zu nahe kommen, ich spüre Sigves festen Griff um meine Taille – sie drückt sich mit ihrem ganzen Körper an mich. Ich fahre schnell zurück auf die Straße, die schon bald vom nördlichen Ende des Sees wegführt und zu einer kurvigen, staubigen und holprigen Strecke wird. Gut, dass wir nicht im Auto unterwegs sind und die Leiche bereits gefunden wäre. Sie hätten uns gebeten, sie ins KCMC zu fahren. Man muss es tun. Man kann sich nicht weigern. Eingewickelt in eine Decke auf dem Rücksitz, zusammen mit dem Vater und einem weiteren männlichen Verwandten aus dem Dorf. Das Krankenhaus kann dem Ertrunkenen nicht helfen, aber die Familie bekommt einen Totenschein – sie haben etwas unternommen, das ist wichtig.
    Es ist zehn nach sechs. Hier gibt es viel Dornengestrüpp. Eine Reifenpanne dürfen wir uns nicht erlauben. Die Sonne geht hinter den Blauen Bergen unter, die Wolken werden von der Unterseite beleuchtet – orangegelb und purpurrot. Viel wird hier nicht angebaut, die Erde ist zu salzhaltig, lediglich ein wenig Mais. Der Staubbelag auf der Straße wird dicker, die Felsen seltener. Wir begegnen ein paar Minibussen, an deren Heck große geflochtene Körbe befestigt sind – sie sind auf dem Weg zu den Fischern. Staub wird von der Fahrbahn aufgewirbelt, die Wolken hängen schwer und träge über der Straße. Ich kann kaum etwas sehen, muss das Tempo verringern.
    In der Dämmerung scheinen die Blauen Berge wirklich blau zu sein. Ich weiß, dass Sigve es nicht mag, wenn sie so hinter mir sitzen muss und wir nicht richtig miteinander reden können. Aber andererseits weiß ich nicht, ob ich etwas sagen soll, und überlege, ob sie die Fete heute Abend erwähnen wird. Es ist bereits spät, und wir müssen zu Hause erst noch ins Bad – ihr Haar müsste trocknen. Sie drückt mich und beugt sich dichter an mein Ohr, der Wind peitscht mir ihr Haar in den Nacken.
    »Ich kann nicht zu dieser Fete gehen!«, ruft sie. »Sie fragen doch nur, was wir den ganzen Tag gemacht haben.« Sie hat sich auf das Fest gefreut, sie will mich zum ersten Mal ihren Freunden vorstellen: den tansanischen Österreicher. Wir haben gestern nichts getrunken, um fit zu sein. Sigves Mann, Tore, muss nächste Woche zu einem Gespräch ins Projektbüro in Daressalaam; die skandinavischen Länder haben kein sonderlich entspanntes Verhältnis zur Polygamie in der Fremde. Ich habe gehört, dass sie ihn möglicherweise sogar nach Hause schicken. Vielleicht kommt er heute Abend auch.
    »Wir sagen einfach, wir waren auf der TPC bei ein paar Leuten, die wir kennen, schwimmen«, schlage ich vor.
    »Nein«, erwidert sie und ist einen Moment still, bevor sie hinzufügt: »Wenn wir erst nach dem Essen kommen, haben sie schon etwas getrunken … Vielleicht sollten wir später kommen.« Das werden wir, denke ich – so viel steht fest.
    »Dann machen wir’s einfach so«, sage ich.
    Endlich erreichen wir ein abgeblättertes verbeultes Metallschild, auf dem TPC und Arusha Chini

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