Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Revolution - Erzählungen

Revolution - Erzählungen

Titel: Revolution - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
Vom Netzwerk:
eine gleichmäßige Wolkendecke sorgt. Aber die Entfernung ist so groß, dass der Kilimandscharo diesig erscheint, wie hinter einem dünnen weißen Schleier; die Staubpartikel in der Luft verschwinden erst, wenn die Regenzeit ernsthaft eingesetzt hat. Einige Stellen am Ufer des Sees sind bedeckt von Schilffeldern. Ich fahre so schnell, wie ich es verantworten kann, ohne dass Sigve reagiert. Als ich jünger war, fuhr ich Motorradrennen – alles in allem dreizehn gebrochene Knochen.
    Die Straße führt durch ein weiteres Dorf. Is LA m guEsthousE steht mit unbeholfenen schwarzen Buchstaben an einer der Hütten – große und kleine Buchstaben wild durcheinander, so wie die meisten Tansanier schreiben. Kleine verhängte Fenster in der sich ausbeulenden Lehmwand, abblätternder Kalk und Putz unter einem Schilfdach. »Hast du das gesehen?«, erkundigt sich Sigve hinter mir. Ich habe es genau gesehen.
    »Was?«, frage ich trotzdem. Woran denke ich? Wir sind in der Mitte von Nirgendwo. Die Sonne geht bald unter. Ich kann durchaus die ganze Nacht aufbleiben, um ein Motorrad zu reparieren, oder irgendwo ein paar Stunden schlafen, mit den Leuten reden, schlechtes ugali essen, Seewasser trinken und zwischen die Büsche kacken. Aber sie … ein Schauder durchzuckt mich. Zweifellos geht sie davon aus, dass ich sie noch vor Einbruch der Nacht in ihr kleines Europa zurückbringe.
    »Es sah erbärmlich aus, dieses Guesthouse«, sagt sie – spüre ich erste Anzeichen von Unsicherheit in ihrer Stimme? »Was glaubst du, wieso hieß es Islam?«, übertönt sie den Motorlärm.
    »Ich glaube, manche Fischer sind von der Küste hierhergezogen, damals, als der See entstand. Es sind also richtige Swahili, Moslems. Du siehst es daran, dass ihre Gesichtszüge anders sind – außerdem haben sie hellere Haut, arabisches Blut.«
    »Also könnten wir dort wohnen, wenn wir es nicht bis nach Hause schaffen?«
    »Na ja, wir sind bald an der TPC .« Ich bemühe mich, eine gewisse Sicherheit auszustrahlen. Vielleicht hat sie Lust auf ein Abenteuer, nur vergeht diese Lust sehr schnell auf einer steinharten Kapokmatratze im Islam Guesthouse, wenn die Wanzen mit unserem Blut ein Festmahl halten.
    Es ist bereits halb sechs, vereinzelte Sonnenstrahlen bahnen sich noch ihren Weg durch die Wolken. Eine Unzahl von Fischreihern, ein paar Marabustörche; klares Licht, da die Sonne von der großen Wasserfläche reflektiert wird. Ein Ende vom Haus Gottes ist nicht abzusehen. Vor den Dörfern spielen Jungen Fußball am Seeufer. Die Kühle des Spätnachmittags. Frauen waschen am Ufer Wäsche, kleine Mädchen helfen ihnen, die farbenfrohen Kleidungsstücke zum Trocknen auf dem sparsamen Gras des Ufers auszubreiten.
    Ich weiß nicht, was passiert ist, aber eines Tages stand Sigve in Arusha – mitten auf dem Hof der Autowerkstatt, im schönsten Sonnenschein. Sie fragte, ob ich mit ihr essen gehen würde. So begann unsere Beziehung.
    »Sieh mal!«, ruft Sigve von hinten und zeigt auf die Blauen Berge, an denen das Licht der untergehenden Sonne warm, weich und golden durch die wenigen Wolken fällt. Ich will ihr nicht sagen, wie spät wir dran sind. Das Seeufer verschwindet für eine Weile, wieder fahren wir durch felsiges Gelände; die Straße weist heftige Steigungen durch die ausgetrockneten Felsschluchten auf, die sich bilden, wenn der Regen in reißenden Strömen aus dem Buschland in den See strömt. Ich halte nicht, um zu überlegen, wie wir die Schluchten bewältigen – wir haben nicht die Zeit, um auszusteigen und zu laufen. Die Blauen Berge kommen näher, aber die Uhr zeigt Viertel vor sechs, und sie mag es nicht, wenn ich zu schnell fahre. Noch immer haben wir das nördliche Seeufer nicht erreicht, aber an einigen Stellen wird das felsige Gelände wieder vom Ufer abgelöst; dort ist die Straße glatt und fein, ohne zu viel Sand. Ich kann Gas geben.
    »Da sind Leute!«, ruft Sigve und winkt mit dem Arm zum Wasser. Ich habe sie gesehen, eine Menge Kinder und Erwachsene.
    »Es wird langsam dunkel!«, rufe ich zurück. »Ich glaube nicht, dass wir noch anhalten und nach Fisch fragen können.« Sie drückt mit einer Hand meine Schulter. »Okay. Aber nur zwei Minuten.«
    Wieder kneift sie mir in die Schulter und lacht, glaube ich, während ich von der Straße biege und auf ein flaches Stück trocken gefallenen Seeboden zufahre. Ein Stück weiter draußen springen junge Männer aus zwei Fischerbooten ins Wasser und tauchen. Wir halten hinter der Menschenmenge am

Weitere Kostenlose Bücher