Revolution - Erzählungen
Ich gebe ihm im Verhältnis zu meinen Geldreserven einen ordentlichen Batzen als Trinkgeld.
»Mehr geht leider nicht.«
»Danke«, sagt er, »ist okay.« Gut, wir sind uns einig. Ich gehe zur Straße in Richtung Marangu, springe auf ein matatu nach Moshi und fahre mit dem Bus weiter nach Arusha. Friedvoll. Mein Land. Wenn es so weit ist, kehre ich wieder heim.
Die Wirtin
1.
Als ich an meinem ersten Tag in Moshi mit der Tante durch die Vorstadt Majengo gehe, deutet sie mit einer kurzen Kopfbewegung auf die Bars.
»Dahin darfst du nicht gehen, Rachel, und du darfst auch nicht mit diesen Mädchen reden – sie sind schlimm und gottlos.« Ich schaue mir die Bars an: Die Mädchen sitzen unter den Markisen an Tischen, sie tragen schöne Kleider und Nagellack, ihr Haar hat ein Friseur frisiert. »Hör auf, sie anzustarren«, sagt die Tante und zerrt mich weiter.
Tante Esther hat mich an der Busstation abgeholt. Sie ist die ältere Schwester meiner Mutter. Meine Mutter ist vor vielen Jahren gestorben. Jetzt ist mein Stiefbruder in Arusha auch tot, deshalb soll ich bei der Tante wohnen. Sie lebt zusammen mit ihrer Tochter Anna in einem kleinen Zimmer in Majengo.
Anna ist zwanzig Jahre alt, vier Jahre älter als ich. Sie erklärt mir, dass Majengo die Gegend von Moshi ist, in der alle verruchten Bars liegen. Und wir wohnen in der schlechten Gegend des Stadtteils, nachts kann man sich hier nicht allein bewegen, ohne alles zu verlieren. Ich wage nicht, die Tante nach ihrem geschiedenen Mann zu fragen, deshalb frage ich Anna.
»Wo ist denn dein Vater?«
»Er hat eine neue Frau in einer anderen Stadt.«
»Vermisst du ihn?«
»Es ist gut, dass er weg ist, er hat zu viel getrunken und meine Mutter verprügelt. Es gab ’ne Menge Probleme mit ihm.«
Ich bin auch froh, dass er weg ist. Ich kenne das von damals, als ich noch zu Hause im Dorf lebte. Ein Mann, der trinkt, denkt ans Trinken, bevor er ans Essen für seine Familie denkt. Bis er meine Stiefmutter heiratete, hat mein Vater nach dem Tod meiner Mutter auch sehr viel getrunken.
Die Tante hat ein Zimmer in einem Haus aus Backsteinen, mit Zementboden und einem Dach aus Blech. Wie eine Dienstbotenwohnung steht es hinter dem Haus des Eigentümers. Sein Haus versucht, wie eine Villa auszusehen – aber das ist schwer in Majengo, bei all den offenen Kloaken, verdreckten Kindern in Lumpen, und Hühnern, die überall herumlaufen und in der Erde scharren.
Ich muss aufpassen, dass ich nicht anfange zu heulen, denn bei meinem Stiefbruder hatte ich ein besseres Leben. Dieser Ort ist schlecht. In dem kleinen Haus der Tante gibt es zwei Zimmer, außerdem wird die Garage als Zimmer genutzt. Die Tante bewohnt eines der richtigen Zimmer. Man geht durch den Hintereingang hinein, dort gibt es einen überdachten Platz von vier, fünf Quadratmetern. Eine Tür führt zur Dusche, und neben der Dusche ist ein Loch. Aber es gibt selten mehr als drei Stunden am Tag Wasser, und das Haus ist nicht an den Wasserbehälter am großen Haus des Besitzers angeschlossen – stattdessen steht das Wasser in Zubern im Duschraum. Neben dem Eingang zur Dusche und dem Abtritt gibt es eine kleine Nische in der Mauer. An einem Wasserhahn kann man abspülen oder Wäsche waschen. Die Nische ist überdacht, so dass sich auch in Kohlebecken kochen lässt, wenn es regnet.
Drei Familien teilen sich die drei Zimmer, insgesamt vierzehn Menschen. Sobald ich eine Arbeit gefunden habe, muss ich ein Drittel der Miete des Zimmers bezahlen.
Anna arbeitet als Zimmermädchen in einem Hotel, und die Tante verkauft getrockneten Fisch vor dem Markt. Anfangs helfe ich ihr. Der Markt liegt in mtaa chini , dem schlechten Teil der Innenstadt, in dem alle waswahili wohnen – genau wie ich sind viele von ihnen arme Zuwanderer aus der Küstenregion. Aber mtaa chini ist immer noch besser als Majengo. Die Tante hat keinen Stand auf dem Markt, deshalb kann uns die Polizei jederzeit verjagen oder ein Geschenk verlangen.
Getrockneten Fisch kenne ich seit meiner Kindheit in Galambo an der Küste, ganz in der Nähe von Tanga. Die frischen Fische werden ausgenommen und auf Stangen über einem schwach glimmenden Feuer ausgebreitet, so werden sie geräuchert und gleichzeitig von der Sonne getrocknet. Nach zwei Tagen sind sie transportfähig. Der Kopf muss noch dran sein, denn hier wollen die Leute keinen Fisch ohne Kopf kaufen – niemand weiß sonst, um welchen Fisch es sich handelt. Man kann den Fisch nicht mit Salz konservieren, weil
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