Revolution - Erzählungen
gehen um diese Zeit nicht mehr dorthin.«
»Doch, machen wir. Komm schon, los, es ist nicht weit.«
»Nein, nein, wir gehen jetzt zurück.«
»Wir müssen dorthin, so war die Abmachung.«
»Aber es ist zu spät, wenn wir die zweite Hütte noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollen«, sagt er. Er muss mitgehen, denn er ist der Guide, er darf mich nicht allein gehen lassen. Aber ich gehe gern allein.
»Tja, ich gehe jetzt«, erkläre ich.
»Du bist verrückt«, sagt er. »Ich komme nicht mit.«
»Dann sehen wir uns bei der dritten Hütte!« Ich laufe los, sehr schnell. Es dauert etwas über zwanzig Minuten am Krater entlang – wirklich schön, das Wetter ist fantastisch. Die Wolken sammeln sich unterhalb des Kibo, als ich den Uhuru Peak erreiche. Ein Steinhaufen mit einer Flagge darauf, ein Kasten mit einem Buch, in das man seinen Namen schreiben kann. Mir ist der Name egal. Ich bin allein auf dem Dach Afrikas und hole die Kerze und den Joint heraus. Mein Plan ist, eine Kerze für Sam anzuzünden und den Joint zu rauchen, aber … ein harter Tag liegt hinter mir, und es kommt noch einiges auf mich zu. Den Joint werde ich jetzt nicht rauchen, und das Feuer für die Kerze? Das ist nur symbolisch, genau wie das Buch mit den Namen. Wir brauchen so etwas nicht. Ich muss mir nichts beweisen oder mich zeigen. Sie weiß, dass ich hier bin. Samantha. Sam the Man . Sie ist hier und ich bin hier, das ist die Botschaft – ganz simpel. Danke. Ich vermisse dich. Auf Wiedersehen. Die Aussicht ist fantastisch. Die Wolken haben sich unter mir in einem Kranz rund um den Kibo gesammelt, dahinter kann ich den Flughafen und Nyumba ya Mungu und den Lake Jipe erkennen – alles. Es ist sehr schön. Ich bleibe ungefähr eine halbe Stunde, genieße es. Der einzige lebende Mensch auf dem Gipfel Afrikas. Und Sam ist auch hier, wie ein Reiter auf meinem Rücken. Ja, ein bisschen schwer ist sie, aber so ist das nun mal. Doch jetzt muss ich gehen. Zurück zum Gillman’s Point, den ich rasch hinter mir lasse – das erste Stück schliddere ich das vulkanischen Geröll fast hinunter. Dann setze ich mich. Okay, es ist ein Augenblick der Ruhe; ich allein. Ich sitze im Geröll und zünde mir eine Zigarette an, rauche sie ganz langsam. Raucher haben es leichter, den Kilimandscharo zu bezwingen, sie sind es gewohnt, ohne Sauerstoff auszukommen. Sagt mein großer Bruder. Hoffentlich sehe ich ihn bald; laut Vater besteht die Hoffnung, dass Stefanos Familie zurück nach Italien zieht. Dann könnte ich nach Hause kommen.
Der ganze Körper spürt es: Die Zigarette schmeckt gut, aber ich kann sie nicht rauchen. Muss sie ausdrücken, stopfe die Kippe in die Tasche. Ich friere – muss meine Jacke anziehen. Taumele weiter auf zitternden Beinen. Ich würde mich gern setzen, mich auf den Rücken legen, ausruhen, aber das darf ich nicht. Ich spüre, wie die Zigarette mich in gewisser Weise hat krank werden lassen, mir etwas genommen hat. Ich bin kurzatmig, habe Schwindelgefühle, Kopfschmerzen. Erste Anzeichen von Höhenkrankheit – ich muss absteigen. Ich quäle mich bis zur dritten Hütte. Samueli steht davor und wartet.
»Gut«, sagt er. Reicht mir einen großen Becher Tee. Ich setze mich, trinke.
»Danke.« Versuche, mein Gleichgewicht wiederzugewinnen. Samueli ist bereit, aber ich muss eine halbe Stunde sitzenbleiben. Er hatte Recht, aus seiner Sicht – wir sind spät dran. Aber ich hatte dort oben etwas Wichtiges zu erledigen. Durch die Sonneneinstrahlung habe ich einen leicht geröteten Kopf und sehr trockene Lippen.
»Es ist Zeit zu gehen«, drängt er.
»Ja.« Ich stehe auf. Es ist vier Uhr nachmittags, und wir müssen die zweite Hütte noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Ich kann jetzt wieder laufen. Ich glaube, meine Unpässlichkeit lag an der Zigarette. Vielleicht bin ich auch ein bisschen dehydriert gewesen. Wir laufen hinunter. Dichtere Luft, der Sauerstoff hilft mir. Es wird allmählich dunkel. Bei Last Water füllen wir die Wasserflaschen, und Samueli schaltet seine Taschenlampe ein. Allerdings kennt er den Weg sehr gut. Wir laufen direkt auf den Platz der Guides und Träger zu. Ich setze mich ans Feuer. Jemand schwitzt gerade Zwiebeln an, kocht ugali . Der Duft – mein Mund läuft geradezu über. Sämtliche Zellen sind hungrig. Ich könnte trockenes Brot verspeisen. Rasta-Eddy ist hier, der Bursche, der mein Träger sein wollte, aber keine Lizenz als Guide hat.
»Ihr habt’s geschafft«, sagt er.
»Uhuru Peak«,
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