Revolution - Erzählungen
den Kopf über ihn. Ich bin dabei aufzustehen. »Nein, nein«, sagt Salama. »Bleib sitzen. Möchtest du etwas?«
»Ich habe kein Geld.«
»Möchtest du eine Cola?«
»Aber ich habe kein Geld.«
»Aber ich. Bring gefälligst eine Cola!«, schreit sie dem Kioskbetreiber zu. Und er kommt mit einer Flasche.
»Danke.« Sie ist kalt und süß. Wieso kann sie sich eine Cola leisten? Sie muss einen guten Job oder eine reiche Familie haben.
»Arbeitest du in einem Büro?«, frage ich sie, denn ihre Fingernägel sind lang und perfekt lackiert.
»Nein, ich bin Hostess in einem Restaurant in Shanty Town«, antwortet sie. Ich weiß nicht, was eine Hostess ist.
»Musst du … Essen servieren?« Salama grinst.
»Das machen die Kellner. Ich heiße die Gäste willkommen, zeige ihnen ihre Tische, erkläre das Menü und nehme ihre Bestellung entgegen. Außerdem beaufsichtige ich die Kellner und sorge dafür, dass die Gäste sich wohlfühlen.«
»Klingt toll. Und wie kriegt man so einen Job?«
»Ist ziemlich schwierig«, sagt Salama, und obwohl ich gern mehr wissen würde, merke ich, dass sie nicht mehr erzählen will.
»Wie alt bist du?«, fragt sie stattdessen.
»Ich bin gerade sechzehn geworden.«
»Das ist alt genug.«
»Wozu?«
»Für alles«, erwidert sie lachend. »Ich habe dich noch nie gesehen. Woher kommst du?«
»Aus Galambo.«
»Und wo ist das?«
»In der Nähe der Küste, bei Tanga.«
Ich erzähle ihr davon, denn es fällt mir nicht schwer, mit ihr zu reden. Salama hört sehr interessiert zu. Ich erzähle, dass unser Dorf ziemlich groß ist. Mein Vater ist Bauer, doch der Boden gehört meinem Großvater. Meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Mädchen war, und mein Vater hat wieder geheiratet, eine Frau, die bereits zwei kleine Töchter und einen großen Sohn hatte. Edward war sechs Jahre älter als ich. 1979 bin ich als Elfjährige in die Schule gekommen und drei Jahre dort gewesen; dann konnte mein Vater sich die Schule nicht mehr leisten, denn man braucht Geld für die Schuluniform und das Unterrichtsmaterial, außerdem will die Hand des Direktors auch ein bisschen. Und wenn man zur Schule geht, kann man nicht zu Hause helfen. »Wenn du nicht viele Jahre zur Schule gehen kannst, dann ist das alles sowieso nicht zu gebrauchen.« Hat mein Vater gesagt. Ich kann lesen, schreiben und rechnen, beinahe jedenfalls.
Bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich zu Hause gewohnt.
Mein Stiefbruder hatte bei einem Schneider aus seiner Sippe nähen gelernt und war nach Arusha gezogen. Dort wohnte er mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern. Er arbeitete für eine Safarigesellschaft, die ein paar Deutschen gehörte; er nähte die Uniformen für die Fahrer, Wächter und Guides, er reparierte die Zelte und nähte Bettzeug, und er nähte die Bezüge für die Autositze. All so etwas. Und wenn es nichts zu nähen gab, dann arbeitete er als Fahrer in einer der Uniformen, die er selbst genäht hatte.
Mein Vater hätte mich gern zu Hause behalten, aber er hatte kein Geld, um mich irgendetwas lernen zu lassen, und im Dorf gab es keine Arbeit für ein junges Mädchen. Also bin ich nach Arusha gegangen, um ein besseres Leben zu finden.
»Du kommst zu uns nach Hause, wenn du gelernt hast, eine gute Hausfrau zu sein. Dann finden wir einen guten Mann für dich«, hat mein Vater gesagt. So schickt das Dorf ein Mädchen zu seiner Sippe in die Großstadt, damit sie etwas lernt und die Welt kennenlernt, bevor sie mit einem Mann aus dem Dorf verheiratet wird. Damals war Tanga die einzige richtige Stadt, in der ich je gewesen war, sehr lebendig, reich und interessant. Doch als ich nach Arusha kam, wusste ich sofort, dass ich nie wieder zurück ins Dorf wollte.
Ich blieb zwei Jahre bei Edward und seiner Familie und half ihnen im Haus; gleichzeitig brachte er mir bei, alle möglichen Arten von Kleidung zu nähen. Aber dann wurde er sehr krank, und die Ärzte verstanden seine Krankheit nicht. Er starb kurze Zeit später, und seine Frau musste zurück nach Hause zu ihrer Sippe in Tongoni, südlich von Tanga. Und ich zog zu meiner Tante nach Majengo, um mein Leben noch einmal zu ändern. Das Leben ist jetzt nicht gut, aber durch die Arbeit bei mama mtilie bieten sich Möglichkeiten.
5.
Jeden Mittag gehe ich durch den Laden und kaufe Milch, unseren Luxus zum Tee am nächsten Morgen – zusammen mit Rohrzucker, denn weißen Zucker können wir uns nicht leisten. Jeden Morgen: Tee, Brot und Obst – Mango, Papaya oder
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