Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
und nachsehen sollte, aber ich traue mich nicht. Man kann hier unten schnell ins Wasser fallen, und da ist es kalt, und die Elbe ist voller gemeiner Strömungen. Ich konzentriere mich auf meinen Atem und versuche, nicht auf das zu achten, was ich in die Ecke hinter dem Kasten phantasiere, auch wenn es mir schwer und kalt im Nacken sitzt. Manche Schatten glaubt man ja nur zu sehen, in Wahrheit gibt es sie gar nicht. Ein Schatten ist nicht viel mehr als eine Angst. Allerdings kommt mir meine Angst im Augenblick ziemlich deutlich vor.
»Komm schon, Basso«, sage ich, »komm schon.« Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor elf. Ich könnte schwören, dass sich hinter dem grauen Kasten was bewegt.
Um Viertel nach elf kommt Klatsche den Steg runtergeschlichen.
»Hey«, sagt er, »ich war zufällig in der Gegend.«
»Hör auf mit dem Quatsch«, sage ich.
»Hat ja astrein hingehauen, unser Informantentreffen«, sagt er.
Ich verdrehe die Augen und zünde mir eine Zigarette an.
»Meinst du, der hat mich gesehen?«, fragt Klatsche.
»Keine Ahnung«, sage ich. »Aber ich hab ein ungutes Gefühl. Hier stimmt was nicht. Mir ist, als hätte sich da hinter dem Stromkasten was bewegt.«
Klatsche geht zu der dunklen Ecke und inspiziert sie. »Da ist nichts Besonderes«, sagt er, »nur der übliche Müll.«
Ich bin mir trotzdem sicher, dass da was war. Ich bin ja nicht bescheuert.
»Danke«, sage ich. »Weißt du, wo der Basso wohnt?«
»Nee, aber das kann man rausfinden.«
Klatsche geht ein Stück den Steg entlang und ruft jemanden an. Ich kann nicht hören, was er sagt, das Wasser klatscht inzwischen zu heftig an den Steg, es ist Wind aufgekommen, aber ich sehe, wie er immer wieder nickt, sich ungelenk ein paar Nummern auf die Handfläche kritzelt und dann den Nächsten anruft. So geht das eine ganze Weile. Wie cool er da steht, wie er sich gegen die schwarze Wand des Docks abzeichnet, wie er das Telefon zwischen Schulter und Kinn geklemmt hat, wie sich die Muskeln in seinem Nacken bewegen, das hat Anziehungskraft. Ich muss die ganze Zeit hinsehen. Verdammt.
Er kommt zu mir rübergeschlendert.
»Alles klar«, sagt er, »geht los.«
»Wohin?«
»Hammerbrook. Spaldingstraße.«
»Niedliche Gegend«, sage ich und ziehe meine Mütze ein bisschen tiefer in die Stirn.
»Fast so niedlich wie du, Revolvergesicht«, sagt er. »Und schmeiß die Kippe weg, du rauchst ja schon wieder wie ein verdammter Schlot.«
»Was meinst du mit ›Revolvergesicht‹?«, frage ich ihn.
»Schau dich doch an, Frau Staatsanwältin.«
Ich weiß beim besten Willen nicht, was er meint.
Wir parken den Volvo direkt unter der S-Bahn-Brücke. Hammerbrook ist eine menschenleere Bürostadt mit vierspurigen Straßen, bösartig urban, man muss schon schwer verliebt sein, um hier lächeln zu können. Ich war hier mal verliebt, für eine Nacht. Ich stand auf dem Dach eines leerstehenden Hochhauses, trank billigen Rotwein, es war Sommer und warm, und unter mir brummte der Hauptbahnhof. Der Mann neben mir war verschlagen und voller Leben, er hielt mein Herz in der Hand, ich hätte es in diesem Augenblick auch ganz gerne dagelassen. Aber am nächsten Morgen hab ich mich schon nicht mehr getraut, ihm mein Herz wieder entrissen und das Weite gesucht.
Wir steigen aus, Klatsche schließt die Karre ab.
»Du stehst rum wie Falschgeld«, sagt er.
»Ich fühl mich hier nicht wohl«, sage ich.
»Das vergeht«, sagt er, läuft um den Volvo herum, nimmt mich bei der Hand und rennt mit mir über die Straße.
Das Auto, das hinter uns langprescht, kann ich in den Kniekehlen spüren. Einen Schritt langsamer gerannt, und wir wären überfahren worden.
»Willst du mich umbringen, Klatsche?«
»Im Gegenteil«, sagt er. Er hält noch immer meine Hand und zieht mich näher an sich ran. Jedes Mal, wenn ich so dicht vor Klatsche stehe, fällt mir auf, wie groß ich bin. Wenn ich mich ein bisschen strecken würde, könnte ich ihm eine Kopfnuss geben, und Klatsche ist immerhin knapp eins neunzig. Auf eine seltsame Art bringt er mich dazu, mich selbst wahrzunehmen. Was soll das? Ich mache mich los.
»Welches Haus?«
»Nummer zwei, sechster Stock«, sagt er.
Wir stehen direkt davor.
Klatsche holt seinen Dietrich raus, fummelt ein bisschen am Schloss, die Tür schnappt auf. Wir machen kein Licht an, steigen in den Aufzug, fahren in den sechsten Stock und finden zwei Eingänge. Ich leuchte die Türen mit meinem Feuerzeug an. Auf der einen steht »Sack & Söhne«, auf
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