Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
an den Pfosten, verdammt, es war nur der Pfosten, aber es fällt zurück, direkt vor die Füße des Mittelfeldbullen, den ich so gerne mag. Der könnte jetzt selbst das Tor machen, macht es aber nicht. Er zelebriert die Kameradschaft und flankt ein butterweiches Ding auf die Nummer 5, richtig liebevoll macht er das. Und die 5 schießt noch mal: drin. Keiner kann es fassen, das Stadion tobt, Carla fällt mir um den Hals, um uns herum wird es so laut, dass unsere Köpfe fast explodieren, ich halte Carla fest und versuche, auf dem Platz den Torschützen auszumachen, aber er wurde soeben von der Mannschaft begraben, von einem Rudel junger Hunde. Schlusspfiff, Sieg.
Ich kriege kaum noch Luft vor Freude und Aufregung. Vielleicht schaffen wir’s ja doch noch mal zurück in die zweite Liga.
»Chas, wo steckst du?«
»In der Badewanne.«
»Nach was riecht’s denn?«
»Muskatnuss.«
»Das hab ich dir geschenkt.«
»Ich weiß, Klatsche.«
»Gut. Dann spring mal aus der Wanne und in die Klamotten. Du hast gleich einen Termin.«
»Wann, wo und mit wem?«
»Um halb elf«, sagt er. »Am Anleger an der alten Fischauktionshalle. Der Typ heißt Basso. Ist nur ein kleines Licht, aber er sagt, er könnte dir eventuell weiterhelfen.«
»Kommst du mit?«, frage ich.
»Ich bin in zehn Minuten vor unserer Tür.«
Ich tauche noch mal unter, horche einen Moment ins Wasser hinein, tauche wieder auf, steige aus der Wanne, trockne mich ab, binde mir die Haare zusammen und ziehe Jeans, einen dunklen Rollkragenpullover und Stiefel an. Ich nehme meinen Mantel, meine Mütze, meine Zigaretten. Ich mache meine Schreibtischschublade auf und schaue die Knarre an. Sie gehörte mal meinem Vater. Ich darf so was eigentlich nicht haben und schon gar nicht benutzen, aber sie ist ja eigentlich gar keine Knarre, sondern nur ein Erbstück, eine Erinnerung. Und heute kommt sie mit. Wenn ich nachts einen Aushilfszuhälter treffe, bin ich gerne gut ausgerüstet.
Auf der Straße stehen ein paar Jungs in braunen Kapuzenpullis, sie schwanken bedenklich und singen Sankt-Pauli-Lieder. Klatsche lehnt an seinem alten Volvo und raucht.
»Gefährlich siehst du aus«, sagt er und sieht mich an. »Miss Undercover.«
»Du bist auch ganz niedlich«, sage ich, mache die Beifahrertür auf und steige ein.
Der Volvo ist eine Müllhalde. Wenn ich so ein Schmuckstück hätte, würde ich es in Schuss halten, aber das geht mich ja nichts an. Klatsche haut den ersten Gang rein, es kracht. Wenn ich das Getriebe wäre, würde ich schreien, aber das bin ich ja nicht, und so hüstele ich nur, und dann brettern wir unsere Straße lang. Gerade nachts habe ich manchmal den Verdacht, dass wir in einer Kulisse wohnen. All die kleinen Läden, die halbherzig renovierten Jugendstilhäuser, die liebenswerten, schmutzigen Bars, die Lichterketten, das schiefe Kopfsteinpflaster, die alten Bäume, die Eisdiele, die besoffenen Türken, der Müll. Schön.
»Wie war’s heute beim Spiel?«, fragt Klatsche.
»Toll«, sage ich.
»Gewonnen?«
»Ja«, sage ich. »Knapp und unverdient, aber ganz besonders schön. War eine Riesensause.«
»Du verrückter Hooligan«, sagt er. Klatsche findet Drittligafußball bescheuert.
Wir biegen links ab und dann rechts, wir überqueren die Simon-von-Utrecht-Straße, so was wie Sankt Paulis Hauptverkehrsader, man wird fast ein bisschen ehrfürchtig. Wir queren die Reeperbahn, sie sieht ziemlich verloren aus mitten in der Woche, und weil es kalt ist. Wir fahren an der Davidwache mit ihrer blauen Polizei-Leuchtschrift vorbei und in die Davidstraße rein, halten auf halber Höhe an der roten Ampel.
»Was ist der Basso so für ’n Typ?«, frage ich.
»Heiermannlude«, sagt Klatsche. »Schmieriger kleiner Angeber. Macht sich gerne mal wichtig. Aber das passt uns ja ganz gut ins Konzept, oder?«
Ich drehe das Fenster runter und zünde mir eine Zigarette an.
»Rauch nicht so viel«, sagt Klatsche.
»Willst du auch eine?«, frage ich.
»Her damit.«
Ich gebe ihm meine und zünde mir eine neue an. Die Ampel wird grün, er gibt Gas, schickt mir sein Du-bist-super-Grinsen rüber, und ich beobachte ihn heimlich beim Rauchen und Autofahren. Sein Gesicht schwankt permanent zwischen zwei Altersstufen: Wenn er an der Kippe zieht, wirkt es markant und erwachsen, wenn er den Rauch ausbläst, hat er die Züge eines Abiturienten.
Wir fahren die Davidstraße hoch mit ihren kleinen, geduckten Häusern, links vorne kann man schon von weitem die Baustelle des
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