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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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heute draufsteht, aber es wird wohl irgendwas mit dem Präsidenten zu tun haben, den sie immer loswerden wollen. Vereinspolitik interessiert mich nicht besonders. Ich will zweiundzwanzig Männer schwitzen und rennen und kämpfen sehen, und am Ende will ich einen klaren Sieg oder eine klare Niederlage, bloß kein Unentschieden, das finde ich unbefriedigend, da weiß ich nicht, wie ich mich fühlen soll, und ich gehe doch vor allem wegen des Gefühls zum Fußball.
    Die Spieler traben so langsam Richtung Kabine. Carla unterbricht ihre Schlachtrufe und sagt: »Der Anzugtyp war heute im Café.«
    »Und?«, frage ich.
    »Er sah wieder aus, als könnte er eine Frau gebrauchen.«
    »Aber ich sehe nicht aus, als könnte ich einen Mann gebrauchen, Carla.«
    Sie schaut mädchenhaft zu mir hoch und klimpert mit den Wimpern.
    »Vergiss es«, sage ich.
    »Der ist echt gut!«, sagt sie.
    »Dann nimm du ihn doch«, sage ich.
    »Geht nicht …«, sagt sie und schaut auf ihre Füße.
    »Carla, jetzt sag nicht, dass Fernando wieder am Start ist.«
    Sie zuckt mit den Achseln und schiebt das Kinn nach vorne.
    »Oh, Mann«, sage ich.
    Fernando ist seit Jahren Carlas On-Off-Lover, er ist ein Riesenarschloch, aber er muss eine Granate im Bett sein. Er tut ihr dauernd weh, er bringt sie zum Weinen, aber sie kommt nicht von ihm los. Und wenn Fernando-Zeit ist, hat kein anderer eine Chance. Ich würde den am liebsten verhauen.
    »Was ist jetzt mit dem Anzugtyp?«, fragt Carla. »Soll ich da mal was arrangieren?«
    »Einen Teufel wirst du tun«, sage ich. »So was muss sich ergeben.«
    »Höre ich da etwa Interesse?«, fragt sie.
    »Mal sehen«, sage ich. Aber nur, weil ich meine Ruhe haben will. Sie spielen unser Lied, und ich muss zuhören. Das Herz von Sankt Pauli, das ist meine Heimat, in Hamburg, da bin ich zu Haus, der Hafen, die Lichter, die Sehnsucht begleiten das Schiff in die Ferne hinaus, das Herz von Sankt Pauli, das ruft dich zurück, denn dort an der Elbe, da wartet dein Glück … So singen sie, die anderen. Ich singe natürlich nicht mit, aber ich höre zu, und dabei starre ich in den Himmel oder auf den Bunker an der Feldstraße. Damit man auch nie vergisst, wo man ist. Es tut gut, zu wissen, wo man ist. Dann kann man in diesem Augenblick schon mal nicht verloren gehen.
    Carla nimmt meine Hand. Die Spieler laufen ein, mit einem Gongschlag und Hells Bells von ACDC. Sie springen, sie winken, sie schlagen sich selbst auf die Wangen, sie machen sich aggressiv, das Stadion tobt, es ist irre laut, Papierschnipsel fliegen, bengalische Feuer brennen, es ist ein Riesending.
    »Wenn sie doch nur mal so gefährlich wären, wie sie tun«, sage ich.
    Carla sagt: »Scheiß drauf.« Sie fängt an zu johlen und zu kreischen und reißt meinen Arm in die Höhe, und dann johle ich auch mit.
    Bis zur achtundachtzigsten Minute ist das Spiel ganz normal schlecht, ein hingegurktes null zu null, es handelt sich hier ja schließlich um Regionalligafußball, und auch sonst ist alles wie immer: Carla brüllt und singt sich die Seele aus dem Leib, ich rauche, so viel ich kann, knete meine Fingerspitzen und versuche, an nichts als das Spiel zu denken.
    Aber dann passiert etwas wirklich Außergewöhnliches. Unsere Nummer 5 wird eingewechselt. Der Junge aus Altona hat eine böse Verletzung hinter sich, keiner der Ärzte wusste, was das mit seinem Fuß genau ist, er hatte Schmerzen, Angst und Depressionen, er hat sich die Haare und den Bart wachsen lassen, es war eine schlimme Zeit für ihn, er fing an zu trinken, scherte sich nur noch einen Dreck um seine Karriere, alle hatten ihn schon abgeschrieben, Sportinvalide mit fünfundzwanzig, schöne Scheiße. Aber eines Tages, als hätte jemand gezaubert, wurde der Fuß wieder gut. Keiner konnte es glauben, aber er stieg tatsächlich wieder ins Training ein, kämpfte sich in die Mannschaft, saß schon ein paar Mal wenigstens wieder auf der Bank.
    Jetzt darf er zum ersten Mal seit einem Jahr wieder spielen, wird mit monströsem Applaus begrüßt. Er freut sich wahnsinnig, das kann man sehen, es ist, als würde da unter seinem Trikot etwas rasen und brennen. Er sieht leicht aus. Er grinst. Er schnappt sich den Ball an der Mittellinie. Er schlägt Haken. Er ist verdammt schnell. Er lässt sie alle stehen, vernascht einen Gegenspieler nach dem anderen. Er ist schon am Sechzehner. Einer von der gegnerischen Innenverteidigung versucht, ihn abzufangen. Aber unsere Nummer 5 geht über links. Schießt. Knallt das Ding

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