Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
war bei mir als ich so erschrocken bin an dem Tag und sie hat mir zugehört
Freitag:
Land unter
J emand muss auf meinem Kopf einen Panzer geparkt haben. Auf jeden Fall ist was Großes, Schweres aus Metall im Spiel, und das Ding klingelt wie verrückt, und es muss schon eine Weile gehen, denn Klatsche haut mit der flachen Hand in die Richtung, aus der das Klingeln kommt, und das ist ganz nah an meinem Gesicht, dieses verfluchte Militärfahrzeug eben, oder was auch immer mir da solche Schmerzen verursacht. Was? Klatsche? Ach du dickes Ei. Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut. Der sollte nicht neben mir liegen. Jedenfalls nicht: nackt neben mir liegen.
Ich kriege mit der einen Hand das klingelnde Monster zu fassen, oh. Das ist ja mein Telefon. Ich stolpere zum Fenster, es ist schon hell, sehr hell, viel zu hell, ich schnappe mir eine Decke, wickle mich ein, saukalt ist es hier, wer hat denn dieses große Fenster aufgemacht, wo kommt das eigentlich her, war das schon immer da?
Klatsche seufzt und knurrt irgendwas und dreht sich um, und ich, ach du Schande, ich, ich: sollte ans Telefon gehen.
»Hallo?«
»Calabretta hier.«
»Wie spät ist es?«
»Kurz vor neun, Chef.«
»Hab ich Dienst?«
»Sie sagen doch, dass Sie immer Dienst haben.«
Puh. Atmen. Mein Herz hämmert, mein Kopf: ein kaltes Geschepper. Ich versuche, meine Augen scharf zu stellen, es tut weh.
»Was ist passiert? Warum rufen Sie mich an?« Verdammt. Selten blöde Frage.
»Wir haben die nächste Leiche.«
»Perücke?«
»Richtig.«
Mir wird schwindelig, ich muss mich an der Wand festhalten. »Wo?«
»Hafen«, sagt er, »zwischen der Fischauktionshalle und dem großen Möbelhaus. Hinter einem von diesen schicken neuen Restaurants, dem Riviera. «
»Was für einen Tag haben wir heute?«
»Freitag«, sagt er.
»Ich bin in fünfzehn Minuten da.«
Ich lege auf, ziehe mir die Decke um die Schultern und werfe einen Blick auf Klatsche. Er liegt auf dem Bauch, den linken Arm neben sich ausgestreckt, feine dunkelblonde Haare auf weicher Haut. Ich kann sehen, wie er atmet, ich kann seinen tiefen Schlaf fühlen. Wie gerne würde ich mich wieder zu ihm legen, die Zeit ein paar Stunden zurückdrehen und dann anhalten und Schluss. Einfach nur eine Frau sein, die einen Mann gernhat. Ich bin total durcheinander. Ich hätte es wissen müssen. Heilige Scheiße.
Ich mache einen großen Bogen ums Bett, schleiche mich ins Bad, putze mir die Zähne, vermeide den Blick in den harten Spiegel und bin draußen. Die Sonne funzelt ein bisschen herum, heuchelt schönes Wetter, kraftlos, saftlos, sie schafft es nicht, Farbe in den frühen Kiez zu pumpen. Die Häuserzeilen in unserem Viertel sind so grau wie mein Gesicht. In den Ecken hängen ein paar verlorengegangene Trinker, die Nacht hat sie erst verschluckt und dann wieder ausgespuckt, und jetzt scheinen sie vergessen zu haben, was sie wollten und wo sie hingehören. Falls sie wo hingehören. Norddeutschland nun wieder. Steife Brise mitten in die Fresse. Gestern Nacht fand ich’s noch toll. Gestern Nacht. Hoppla.
Der Asphalt unter meinen Stiefeln schickt kleine Stöße durch meine Knie bis in meinen Kopf, Laufen ist schwierig gerade. Ich kann nicht. Ich winke mir ein Taxi ran und lasse mich zum Riviera kutschieren, und draußen auf den Straßen sehe ich meine Welt am Freitagmorgen, die noch gegen die Schmerzen der letzten Nacht kämpft, trostlos ist das.
Das Riviera liegt in einer der vermutlich teuersten Gegenden des Elbufers. Hier wirkt Hamburg sehr hanseatisch, sehr fein, sehr schick urban, keinen Kilometer von der Reeperbahn entfernt. Bevor ich aus dem Taxi steige, atme ich einmal tief ein und wieder aus, knote meine Haare zusammen und versuche, mich, so gut es geht, fit für den Anblick einer toten Frau zu machen.
Am Tatort ist es seltsam still. Alles wirkt wie unter einer Glocke, die hohen Backsteinbauten der neuen Szenespeicher, die Docks gegenüber, die keinen Mucks von sich geben, die Elbe, die reglos dazwischen liegt, die Möwen, die in der Luft schweben und sich kaum zu bewegen scheinen, als würden sie sich große Mühe geben, nicht aus Versehen zu lachen. Als wäre das alles nur eine Kulisse, der erste Blick auf eine böse Geschichte, die hier ihren Anfang nimmt.
Ich sehe den Faller schon von weitem. Mächtiger Mantel, schiefer Hut, hängende Arme. Er sieht fertig aus. Sagt wahrscheinlich genau die Richtige. Die Jungs vom Bestattungsinstitut lehnen unbeteiligt an ihrem Leichenwagen,
Weitere Kostenlose Bücher