Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
grüßen diskret und wollen lieber nicht auffallen. Ich habe das Gefühl, in Zeitlupe an ihnen vorbeizuschleichen, und überhaupt: als wäre ich gar nicht da. Als wäre ich eine von den Möwen am Himmel. Ich kann Klatsches Hand noch auf meiner Hüfte spüren. Ich schiebe sie weg.
»Moin«, sagt ein uniformierter Beamter und hebt den Zeigefinger an seine Mütze.
Er ist jung, tapfer und etwas blass um die Nase. Wäre ich in besserer Verfassung, würde ich ihn anlächeln, ihm meine Hand auf die Schulter legen und ihm sagen, dass nicht alles in diesem Job so schlimm ist wie das hier heute Morgen und dass sogar ich normalerweise ganz akzeptabel aussehe. Aber in solch einer Verfassung bin ich nicht mal ansatzweise. Ich nicke ihm nur kurz zu.
Der Faller dreht sich um, als er mich kommen hört, er hört immer, wer hinter ihm ist, er erkennt die Menschen am Schritt, der alte Halunke. Da sind ein paar tiefe Furchen um seinen Mund, sein Gesicht zeigt heute ein besonders beeindruckendes Grau, und als hinter ihm die Tote sichtbar wird, verstehe ich sofort, warum. Irgendwie hatte ich die naive Hoffnung, dass es sich vielleicht doch um eine Drogentote handeln würde und dass die Kollegen da was verwechselt haben. Aber es ist so schlimm, wie es in Fallers Gesicht geschrieben steht: Unser Mörder geht in Serie, nach allen Regeln dieser hässlichen Kunst. Es wird ekelhaft.
Das Mädchen sitzt auf einem Regiestuhl, der Stuhl lehnt an der Rückseite des Riviera, das hoch und majestätisch in den Himmel ragt, ihre Augen sind offen und blicken aufs Wasser. Sie ist jünger als Margarete Sinkewicz, sie ist ziemlich klein und sehr dünn, sie ist höchstens neunzehn, hat aber den Körper einer Vierzehnjährigen, mit kleinen Champagnerbrüsten und durchscheinender Haut ohne jede Körperbehaarung. Und die Haare auf dem Kopf, nun ja. Die Perücke ist diesmal platinblond, Hollywoodlocken, schulterlang. Auf der Stirn des Mädchens klebt getrocknetes Blut. Alle Anwesenden wissen, was sich unter dieser Perücke verbirgt, aber keiner spricht darüber. Überhaupt scheint niemand ein Wort zu sagen. Es würde mich nicht wundern, wenn alle ihre Sprache verloren hätten.
Ich kann es leider nicht zurückhalten, es geht zu schnell.
»Tschuldigung«, sage ich, halte mich am Faller fest und übergebe mich hinter seinem Rücken aufs Pflaster. Na prima. Frau Staatsanwältin ist in Bestform und kotzt erst mal ganz in Ruhe den Tatort voll.
»Morgen, Chef«, sagt der Faller.
Ich wische mir den Mund ab und klaube die Reste meines Gesichts zusammen.
»Entschuldigung«, sage ich noch mal. »Wer hat sie gefunden?«
Der Faller zeigt mit dem Kopf nach rechts. Da steht ein Opa mit einer Angel in der Hand und weint.
»Der Calabretta ist gerade los, Kaffee holen«, sagt der Faller. »Soll ich ihn anrufen, damit er noch einen mitbringt?«
Ich schüttele den Kopf, drücke Fallers Unterarm und gehe zu dem Opa rüber, dabei muss ich an dem toten Mädchen vorbei. Je näher man ihr kommt, desto zierlicher wird sie. Ihre Haut sieht aus wie eine dünne Schicht Schnee. Es ist zynisch, aber vielleicht ist das, was ihren Anblick noch trauriger macht als den der silikonbestückten, solariumgebräunten Margarete, nicht nur die Tatsache, dass sie die zweite Tote ist und damit die Sache noch schlimmer wird, sondern vor allem: Dieses Mädchen hier wirkt so rein, so unschuldig und unangetastet vom Leben. Sie war es sicher nicht, und Margarete war ja auch nicht selbst schuld an ihrem Tod, aber verdammt, sie sieht aus wie ein Baby. Wie ein Püppchen.
Ihre aufs Wasser starrenden Augen, das geronnene Blut auf der Stirn, all das hat was von einem zerstörten Traum. Als hätte jemand etwas wirklich Zauberhaftes kaputt gemacht. Mir wird schon wieder schlecht, ich muss eine kleine Pause einlegen und mich kurz an dem Geländer festhalten, das die Leute davor schützt, in die Elbe zu kippen.
Als ich wieder gerade stehen kann, versuche ich, dem weinenden Opa möglichst nah zu kommen, ohne ihn zu berühren oder ihm sonst wie unangebracht auf die Pelle zu rücken. Er sieht ziemlich mitgenommen aus.
»Ich bin Chastity Riley«, sage ich, »die zuständige Staatsanwältin.«
Er rührt sich nicht, aber die Tränen, die aus seinen Augen laufen, werden mehr. Die Hand, mit der er sich an seine Angel klammert, ist furchtbar weiß.
»Das muss ein schlimmer Schreck für Sie gewesen sein«, sage ich.
»Sie sitzt auf meinem Stuhl«, sagt er und schließt die Augen. »Wenn ich den Stuhl nicht immer
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