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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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hier stehenlassen würde, würde sie da jetzt nicht so sitzen. Meine Frau sagt immer, ich soll den Stuhl nicht stehenlassen.«
    Seine Schultern beginnen zu zucken. Er weint wie ein Kind. Er ist mindestens achtzig.
    »Sind Sie jeden Morgen hier?«, frage ich.
    Er nickt.
    »Auf was gehen Sie?«
    »Zander«, sagt er. »Ohne Angelschein.«
    Er sieht mich einen kleinen Moment lang an. Seine Augen sind von einem trüben Wasserblau, es kann sein, dass sie früher mal aussahen wie die von Paul Newman.
    »Hey«, sage ich, »keine Angst. Ich bin nicht das Ordnungsamt. Angeln Sie, so viel Sie wollen.«
    »Hier werde ich nicht mehr angeln«, sagt er. Es sieht aus, als würde er sich ein bisschen fangen. »Die Biester beißen eh nicht.«
    Er wischt sich mit der freien Hand die Tränen von seiner Pergamenthaut.
    »Wann gehen Sie denn immer raus?«, frage ich.
    »So gegen halb sieben«, sagt er und holt Luft. Na also. Geht doch.
    »Heute Morgen auch?«
    »Es war kurz nach sechs«, sagt er. »Und da saß sie auf meinem Stuhl.« Seine Stimme bricht, und dann erstickt sie.
    »Haben Sie irgendwen gesehen?«
    Er schüttelt den Kopf und fängt wieder heftiger an zu weinen. Ich lege meine Hand auf seine Schulter und hoffe, dass er noch ein bisschen Zeit hat, diesen Morgen zu vergessen. Dann drücke ich ihm meine Karte in die Hand. »Wissen Sie was«, sage ich. »Rufen Sie mich doch an, wenn Sie einen neuen Platz gefunden haben. Ich würde gerne mal mitkommen.« Ich mag den Opa. Ich habe eben eine Schwäche für alte Männer. Und für junge, flüstert es in meinem Hinterkopf. Schhht.
    Der Opa lächelt mich an und steckt die Karte in seinen Opa-Anorak. Ich habe keine Ahnung, wie ich wieder an der Toten vorbeikommen soll, ohne in Ohnmacht zu fallen.

    Später, als die Spurensicherung fertig ist und die Tote auf dem Weg in die Pathologie, gehen wir ein paar Schritte, der Faller und ich. Ich bin nicht in Ohnmacht gefallen. Inzwischen ist es kurz vor zwölf, man kann gut zu Carla gehen, wenn man will. Der Faller hat die Hände in den Manteltaschen und rückt nicht raus mit der Sprache. Aber ich weiß, dass noch irgendwas ist.
    »Was?«, frage ich.
    »Pffh«, macht er.
    Ich biete ihm eine Zigarette an. Er lehnt ab.
    »Was?«, frage ich noch mal.
    »Ich war doch gestern bei Eisen-Siggi«, sagt er.
    Siggi. Ach ja.
    »Ach ja«, sage ich. »Wie geht’s ihm?«
    »Der war merkwürdig«, sagt der Faller, »der hat sich gar nicht gefreut.«
    »Faller«, sage ich, »Sie haben ihn damals in den Knast gebracht.«
    »Och«, sagt er, »das sind doch olle Kamellen. Das ist doch längst vergessen.«
    Das würde ich an Siggis Stelle nicht so sehen, aber: bitte.
    »Der war total abwesend«, sagt er, »als würde er mich überhaupt nicht wahrnehmen.«
    »Faller«, sage ich, »wir haben innerhalb weniger Tage die zweite tote junge Frau. Ist Eisen-Siggi irgendwie wichtig?«
    »Ich glaube, ja«, sagt der Faller. »Immerhin hatte unsere erste Tote seine Telefonnummer.«
    »Okay«, sage ich, »aber was geht uns der seelische Zustand dieses alten Gauners an?«
    »Vertrauen Sie mir, Chef«, sagt er, »ich denke, der geht uns eine Menge an.«
    Wir gehen noch eine ganze Weile am Wasser entlang und schweigen. Das tut gut, und die frische Luft vermutlich auch. Ich komme so langsam zu mir. Und irgendwo zwischen den Landungsbrücken sieben und fünf hält mir der Faller seinen Arm hin, und ich hänge mich bei ihm ein.
    »Sie sollten mal wieder Ihre Stiefel putzen, Chef«, sagt er. »Das sieht doch nicht aus.«
    Manchmal könnte ich dem alten Mann um den Hals fallen.

    Fast hätte ich es geschafft, den Faller zu überreden, mit zu Carla zu kommen. Ich war plötzlich richtig aufgekratzt von der Idee. Er war ja noch nie in meinem Lieblingscafé, und da dachte ich, das würde ihm sicher auch mal guttun, sich was von ihrer Fröhlichkeit abzuschneiden, nach so einem Vormittag. Aber er wollte lieber nach Hause zum Mittagessen, er wollte zu seiner Frau. Ist ja völlig richtig. Wenn man schon ein Zuhause hat, sollte man auch hingehen. Ich bin heute wohl hormonell gehandicapt und etwas aus der Fasson. Und die Tatsache, dass ich wahrscheinlich gleich diesen sehr schnöseligen, aber nicht weniger interessanten Claudius Zandvoort treffen werde, macht mich nicht ausgeglichener. Ich fühle mich total verrückt. Scheiß Hormone. Einmal wieder Sex gehabt, und schon verschwimmt alles.
    Ich reiße die Tür zum Café etwas forsch auf, wie ich finde, ich komme mir sofort blöd vor (wir sind hier

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