Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
Schaudern überzog seinen Rücken. „Dass ich solch ein Wort jemals aussprechen würde, habe ich noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten.“
Völlig lautlos stand er vom Boden auf und griff nach seiner Teydraga. Leise fischte er einen Bolzen aus einer Tasche an seinem Gürtel, legte ihn mit geschickten Fingern in den Lauf der Waffe ein.
Wenn sie erst erfahren wird, dass ich ein Ni´kyrtaz, ein Meuchelmörder, im Dienste meines geehrten Fürsten Lhagaîlan daé Yazyðor bin, wird sie mich verachten, mich vielleicht sogar verraten. Sie könnte meine Pläne vereiteln, meinen Auftrag gefährden. Soweit darf ich es nicht kommen lassen.
Mit einem herzlosen Ausdruck im Blick trat Rhavîn an Auriel heran, spannte die Sehne der vierarmigen Armbrust, richtete sie exakt auf die Schläfe der Zauberin aus.
„Ich habe Nymion, weitere Verbündete benötige ich nicht“, wisperte der Dunkelelf arrogant. „Schon gar nicht kann ich mich mit einem dummen Ding, einer verlogenen Hexerin abgeben, die mich bei den ersten Unstimmigkeiten sicher verraten wird. Sie ist zwar eine Hexerin der schwarzen Künste aber dennoch nur ein Náiréagh. Menschen sind schwach! Niemals wird einer von ihnen einen Sícyr´Glýnħ unterstützen, dessen bin ich mir sicher. Zudem bin ich ein Meuchelmörder – ein leiser Mörder. Ich arbeite allein. Immer.“ Seine Finger glitten um den Abzug, ein Windhauch ließ die Sehne leise vibrieren.
Ich kann sie nicht ewig belügen. Denn obwohl sie vorgibt, wenig über diese garstigen Waldelfen zu wissen, errät auch sie, dass ich anders bin, als die blonden, zartbesaiteten Wichtigtuer. Sie hat unlängst gemerkt, dass ich nicht mit einer Harfe bewaffnet durch die Blüten krieche und mich nach den Streicheleinheiten eines Eichhörnchens sehne.
„Mhm“, schnaubte Rhavîn. Die Waffe in seinen Händen federte sacht auf und ab, seine Finger hielten den Abzug fest im Griff. Vermutlich ist es ihre eigene dunkle Gesinnung, die mich ihr sympathisch erscheinen lässt, nichts darüber hinaus. Ich muss sie töten, sonst werde ich ihretwegen sicherlich in Schwierigkeiten geraten und mein Plan, der Plan meines Fürsten, wird scheitern. Das muss ich unter allen Umständen verhindern.
Rhavîn zögerte einen Moment. Ihm kam der Gedanke, dass Auriel möglicherweise doch eine treue Begleiterin abgeben könnte. Und wenn schon? , schnaubte er. Diese Möglichkeit besteht und dennoch ist sie verflucht gering. Ich gehe ein zu großes Wagnis ein, wenn ich gestatte, dass sie mich weiter begleitet. Die Seele eines Menschen ist wankelmütig. Der Blick des Dunkelelfen fiel auf Auriels zarte Gesichtszüge, verweilte auf ihren fein geschwungenen Lippen und huschte über das lange Haar der jungen Frau. Wobei sie für einen Menschen wahrlich wunderschön ist ...
Die Finger des Dunkelelfen zuckten. Schon hatte er sich im Bruchteil eines Augenblicks entschlossen, Auriel zu töten, als sich plötzlich ein schrilles Kreischen über den Baumwipfeln erhob. Ein lautes, unwirkliches Gurgeln, das mindestens einhundert Kehlen zu entstammen schien.
Rhavîn fuhr herum, fixierte den herannahenden Gegner mit konzentriertem Blick und drückte den Abzug seiner Teydraga. Der Bolzen schoss sirrend durch die Nacht und traf präzise sein Ziel. Das Röcheln des Getroffenen wurde von dem gurgelnden Geschrei der anderen übertönt. Der sterbende Körper fiel vom Himmel.
Zeitgleich griff Rhavîn an die Innenseite seines Mantels. Er bekam drei Arinatu-Kéiy zu fassen. Ohne zu zögern, schleuderte er sie den Angreifern entgegen. Die Wurfsterne sirrten durch die Nacht, zerschlitzten Kehlen und Körper der zahlreichen Gegner und kehrten schließlich in einer gewundenen Bahn zu Rhavîn zurück, der sie auffing und wegsteckte, noch bevor die Leichen der Getroffenen zu Boden gestürzt waren.
Während er die Gegner fest im Blick behielt, ergriff der Meuchelmörder vier weitere Bolzen und legte sie flink in die einzelnen Läufe seiner Waffe ein. Gleichzeitig zischte er:
„Auriel! Nymion! Wacht auf!“
Während Nymion sofort wiehernd auf die Hufe stieg, rieb sich Auriel schlaftrunken die Augen. Schließlich vermutete sie, lediglich wegen des Beginns ihrer Nachtwache aufgeweckt zu werden. Doch als sie die Augen aufschlug, konnte sie wegen des flatternden Schwarms der Angreifer den Nachthimmel über sich nicht sehen. Entsetzt fuhr sie auf.
Hoch über der Lichtung kreiste eine Schar von Hunderten kleiner Dämonen. Ihre blutrot leuchtenden Augen funkelten wie
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