Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 1 (German Edition)
geglaubt hatte, löste sich augenblicklich auf.
„Aber, Rhavîn ... Ich liebe dich.“ Die Hexerin sah mit tränennassen Augen zu dem Dunkelelfen auf. Ihre Lippen bebten und ihr bleiches Gesicht spiegelte Trauer und Kummer ihres Herzens wider. „Du kannst mich nicht zurücklassen.“
„Es ist also tatsächlich so“, erwiderte Rhavîn mit widerstrebendem Ausdruck und richtete sich zu voller Größe auf. „Ich hatte es geahnt, dass deine dummen, menschlichen Gefühle dich überwältigen würden.“ Sein Gesicht nahm einen unschuldigen Ausdruck an. „Am Anfang dachte ich noch, du wärest ein wenig so wie ich. Ich hielt dich für herzlos, für grausam und für eine wahre Hexerin der schwarzen Künste. Aber bis zum heutigen Tag erlebe ich von dir nichts als sinnlose Gefühle und erbärmliche Schwäche! Du bist nichts weiter, als ein leerer Stoß menschlichen Fleisches, der in seinen eigenen Tränen schwimmt.“ Er stieß einen grimmigen Laut aus, der seinen angewiderten Tonfall unterstrich und seine Rede beendete. „Erbärmlicher Abschaum!“
Rhavîn musste sich anstrengen, glaubhaft zu klingen. Ihm fielen die eigenen Worte schwer und er wusste, dass er nicht so überzeugend klang, als wenn die Sätze seinem Herzen entsprungen wären.
Vater verzeih mir. Ich weiß, du würdest dir wünschen, meine Worte seien wahr ... aber sie sind es nicht. Rhavîns Herz wurde schwer. Er spürte den prüfenden Blick seines Vaters, erinnerte sich an die Enttäuschungen, die er ihm vor Jahren zugefügt hatte. Offenbar habe ich meinen Schwur gebrochen – schon wieder. Da er nicht fühlte, was er aussprach, verletzte ihn der Anblick von Auriel, die unter seinen kränkenden Worten immer kleiner geworden war. Er ballte die Hände zu Fäusten und wandte den Blick ab, während sich ein kaum gekanntes Gefühl in seiner Brust ausbreitete – Mitleid.
Ich darf sie nicht in Gefahr bringen , überlegte Rhavîn. Würde sie bei mir bleiben, würde sie die Aufmerksamkeit all meiner Feinde auf sich ziehen, ebenso wie ich es tue. Viele Gefahren warten auf meinem Weg und ich wäre schuld, wenn sie in eines dieser Bedrängnisse geraten würde. Auriel würde sterben, das spüre ich. Und es wäre meine Schuld, einzig und allein meine Schuld. Ich könnte es nicht ertragen, sie sterben zu sehen und ich kann sie nicht mit voller Absicht auf einen Pfad führen, der nur Leid und Gefahr für sie bereithält. Ich muss sie davor bewahren. Wenn sie nicht freiwillig geht, muss ich sie eben fortjagen. Um ihrer eigenen Sicherheit willen. Sie ist so zart, so verletzlich. Mein Auftrag ist zu wichtig, zu gefährlich für sie. Sie muss mich verlassen, doch ich kann nicht ...
„Rhavîn!“ Der schrille Ruf der Hexerin riss den Sícyr´Glýnħ aus seinen Gedanken.
„Was?“, stieß er so herzlos wie möglich hervor. Er zwang sich, Auriel anzusehen. Sein Körper strahlte unbeugsame Härte aus. In seiner Überlegenheit schien er unantastbar für die Gefühle der aufgelösten jungen Frau.
„Wenn du einen Begleiter suchst, der gefühllos ist wie du, grausam wie du und ausgekocht, wie Revelya ...“ Auriel schluckte. Sie spürte ihre Blut dürstende Kampfsucht zurückkehren. Die einzige Eigenschaft, auf die sie sich früher immer hatte verlassen können, in den Zeiten, in denen sie kein Mensch mehr gewesen war, sondern lediglich eine Dienerin der verwobenen Grauen. In den letzten Tagen hatte sie gemerkt, dass sie tief in ihrem Inneren doch noch ein Mensch war, ein Wesen, das erst durch seine Gefühle atmen und leben konnte. Sie war über ihre Wandlung zwar verwirrt gewesen und auch nicht immer glücklich, doch hatte sie gespürt, dass ihr neuer Weg ein guter war. Sie hatte sich damit abgefunden, ihrem alten Leben als Novizin unter den finsteren Zauberern Lebewohl zu sagen und ein neues Leben als Hexerin auf eigenen Pfaden zu beginnen. Doch nun würde sie zu ihrem alten Verhalten, zu ihren alten Wegen zurückkehren, um Rhavîn zu gefallen. Um an seiner Seite weitergehen zu dürfen, wollte sie in diesem Augenblick alles tun.
„Wenn du jemanden suchst, der so ist, dann hast du ihn gefunden.“ Ihre Augen blitzten zornig auf. Rhavîn erkannte, dass ihre Lebensgeister zurückkehrten.
„Wen meinst du?“ Seine Augen weiteten sich. Zu spät gelang es ihm, seine Bestürzung hinter einer unterkühlten Maske zu verbergen. Der Dunkelelf befürchtete, seine Überraschung könnte das Gerüst, das er gerade aufgebaut hatte, zum Einsturz bringen.
„Mich!“, rief Auriel
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