Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
ausersehen, der dann in etwa einem Mond meinen Platz einnehmen wird.
Ich werde zu nervös, ich muss meine Aufzeichnungen beenden, denn kaum noch kann ich die Feder in meinen verschwitzten Fingern halten. Jedes Wort kostet mich Überwindung und viel Zeit.
Ich habe Angst, meine Konzentration auf diese Aufzeichnungen zu verwenden, während mein Mörder vielleicht schon durch Dragelund streicht. Ich könnte ihn übersehen, ihn überhören ...
Ich muss, ich werde meine Feder nun niederlegen und meine Chroniken beiseitelegen.
Grímmaldur, der Schwarze“
Zweiundzwanzigstes Kapitel: Bitterster Kelch
„Rhavîn?“ Auriel kroch mehr zu dem Dunkelelfen hinüber, als dass sie ging. Als sie ihn erreicht hatte, fiel sie neben ihm zu Boden. „Rhavîn, es tut mir so leid“, schluchzte sie und blickte ihn aus verweinten Augen traurig an.
Rhavîn reagierte nicht. Regungslos verharrte er über Nymion gebeugt. Auriel hörte einzig sein leises Schluchzen und Wehklagen. Er fluchte, weinte und trauerte in vielen Sprachen – Sprachen, die Auriel nie zuvor gehört hatte.
Es war mitten in der Nacht und das Licht der Sterne und des Mondes spiegelte sich sowohl auf dem Wasser des Flusses als auch auf der glitzernden Eisstatue wider. Windböen kräuselten das Wasser, das allmählich von der Lichtung aus zurück in den Flusslauf sickerte, und ließen die Äste der Bäume erzittern.
Auriel legte sich neben Nymion auf den Boden und starrte in den nachtschwarzen Himmel, bis ihr schließlich die Augen zufielen. Sie war müde und erschöpft. Das Erlebte setzte ihr zusätzlich zu ihren Schmerzen heftig zu.
Doch kaum war die Hexerin eingeschlafen, zuckten erneut wilde Bilder durch ihren Kopf, die sie zunächst kaum zuzuordnen vermochte. Die Bilder wechselten rasch und waren stark verzerrt und von heftigen Emotionen wie Schmerz und Schuldgefühlen überlagert. Plötzlich allerdings wurden die Bilder klarer und Auriel sah sich inmitten eines sonnenbeschienenen Dorfes, das sie unschwer als Dragelund erkennen konnte.
In ihrem Traum sah sich Auriel einen Dolch in den Händen halten, an dem Blut klebte. Auch ihre Hände und Kleider waren voller Blut. Sie selbst spürte unendliche Leere und tiefe Trauer in ihrem Herzen. Die Menschen um sie herum allerdings jubelten ihr zu, winkten, freuten sich und sie gratulierten ihr.
Besonders ein Mann fiel Auriel in der Menschenmasse auf – er war prunkvoller gekleidet als die anderen und er trug einen kunstvollen Stirnreif auf den Haaren. Er kniete sich vor Auriel nieder, doch bevor er zu sprechen beginnen konnte, wechselten die Bilder erneut. Die Hexerin wurde Zeugin einer schrecklichen Szene.
Noch immer befand sie sich in dem Dorf, als plötzlich von überall her schwarze Schatten aus den Wäldern nahten. Sie rasten heran wie Geister, schwangen Waffen und feuerten Bögen ab. Das Dorf geriet in Panik und die wenigen Krieger, die Dragelund dem Angriff entgegenzusetzen hatte, gingen schon bald in der Schlacht unter.
Auriel selbst stand tatenlos daneben, zu sehr lähmte sie der Schmerz, den sie selbst verspürte, obwohl sie noch immer nicht wusste, wo dieser Kummer herrührte.
Plötzlich wurde Auriel aus ihren Träumen gerissen. Ein lautes Krachen ließ den toten Leib des Einhorns neben ihr erbeben. Die Hexerin öffnete erschrocken die Augen. Hastig tastete sie nach ihrem Dolch, bis ihr einfiel, dass sie ihn am Vorabend irgendwo verloren hatte.
Voller Angst blickte sie auf und erkannte Rhavîn, der unmittelbar vor Nymion stand. Seine Kleider waren feucht und schmutzig. Seine Haare ragten wirr in alle Richtungen, das hübsche Gesicht des Sícyr´Glýnħ war verschmiert von getrocknetem Blut und mit verkrusteter Erde überzogen. Der Dunkelelf hielt N’thaldurs Schlachtbeil in den Händen, hob es schwungvoll über den Kopf und ließ es dann krachend niederfahren.
„Was machst du da?“, wollte Auriel hastig wissen. Rhavîn kam ihr plötzlich fremd vor. Seine Augen zeugten von der tiefen Verletzung, die seine Seele in dieser Nacht hatte erfahren müssen, sein gesamter Körper wirkte angespannt.
Ohne eine Antwort abzuwarten, stand Auriel auf. Ihr Blick fiel auf Rhavîns Finger, die sich krampfhaft um den Griff des Schlachtbeils schlossen. Unermessliches Leid flammte in seinen Augen, als er zum nächsten Schlag ausholte. Wieder und wieder hieb der Sícyr´Glýnħ auf Nymion ein – auf die Stelle, an der sein Stirnhorn mit dem Kopf verwachsen war.
Schon war eine tiefe Kerbe zu sehen, als
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