Rhavîn – Gesang der schwarzen Seele 2 (German Edition)
Grímmaldurs Seite. Umringt von feiernden Menschen drangen Lachen und Freude an ihre Ohren. Essen wurde herumgereicht, Met und Bier flossen in Strömen. Vor Auriel stapelten sich bald allerlei Köstlichkeiten. Die junge Frau rang sich Dankbarkeit und Haltung ab, versuchte, sich die Trauer nicht ansehen zu lassen. Obwohl jedes laute Lachen ihrem Herzen einen Stich versetzte und sie bei jedem Laut, der sie an Rhavîns Stimme erinnerte, aufschreckte, mühte sich Auriel, dem Fest geistig beizuwohnen. Sie versuchte, den Worten Grímmaldurs zuzuhören und Anteil an seinen Geschichten zu nehmen. Doch immer wieder versickerten seine Erzählungen in dem schwarzen Nebel, der Auriels Seele überschwemmte.
„Nun, Auriel Glanzweberin, wie gefällt Euch mein Fest?“, wollte Grímmaldur der Schwarze irgendwann wissen. Er reichte der Zauberin ein mit schäumendem Met gefülltes Trinkhorn.
„Wenn ich von meinem Kummer absehe, dann, mein Herr, gefällt es mir gut!“ Auriel rang sich ein gezwungenes Lächeln ab und trank den warmen Met in großen Schlucken. Sie spürte, wie das warme Getränk ihren Körper wärmte. Hitze stieg in ihre Wangen.
„Das Glanzstück meines Festes steht uns noch bevor!“, frohlockte der Jarl. Er strich sich durch den üppigen, dunklen Bart und erklärte mit gedämpfter Stimme: „Oben bei dem Steinkreis liegen drei Tiere, die ich den Göttern opfern möchte. Als Dank dafür, dass sie mir durch Euch das Leben geschenkt haben!“
„Ja, ich sah einen Bären und zwei Wölfe.“ Auriel schluckte, ein unheilvoller Schimmer glitzerte in ihren Augen. Sie riss einen kleinen Bissen aus dem Fleischstück, das sie in den Händen hielt. Doch so sehr sie sich auch mühte, das Fleischstück zu zerkauen und hinunterzuschlucken, es gelang ihr nicht. Bedrückende Enge schnürte ihr den Hals zu.
„Allerdings!“ Der Jarl warf sich in die Brust und verkündete stolz: „Da es sich um das Leben eines Königs handelt, für das ich danke, muss ich gar königliche Tiere opfern. Mit nichts Geringerem würden sich die Götter zufriedengeben.“
„Am liebsten hätte er wohl einen Drachen geopfert, das Wappentier unserer Sippe!“, lachte Renia, die ganz in der Nähe der beiden an der Tafel saß.
Auriel keuchte. Sie konnte die ausgelassene Stimmung der Feier kaum ertragen. Die Heiterkeit, die wie ein Dämon über allem hing, beschwor Geister, die an Auriel zerrten, sie zu Boden drängen wollten.
„Nicht umsonst heißt mein Dorf Dragelund, der Drachenhain, junge Maid. Hier hat es früher tatsächlich einmal Drachen gegeben!“ Grímmaldur nickte heftig, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. Dass er dabei beinah den gesamten Inhalt seines Trinkhorns verschüttete, bemerkte er nicht. „Würde ich einen Drachen opfern, so würden mich die Götter sicherlich gleich zu einem der ihren erheben!“
Grímmaldur und seine gesamte Gefolgschaft lachten schallend. Die Gesellschaft prostete ihrem König fröhlich zu.
„Grímmaldur, sagt,“, bat Auriel, nachdem sich der König wieder seinem Mahl zugewandt hatte, „was habt Ihr mit dem Mann vor, der Euch zu töten versuchte?“ Dunkle Ringe unter den Augen sah die Zauberin auf. Sie wirkte durchscheinend blass, ihr Körper erschien zerbrechlich und zart.
„Mit dieser Bestie?“ Grímmaldurs Augen blitzten grimmig auf. „Wir haben ihn in dem Steinkreis auf einen Holzstoß gelegt. Er wird verbrannt, nachdem wir die Tiere geopfert haben. Auf diese Weise können die Götter diesen Bastard zu sich nehmen und ihn an meiner Statt lynchen. Ihm stehen Hunderte Jahre endloser Qualen bevor. Erst, wenn er seine Tat bereut hat, findet er vielleicht Gnade vor den Göttern.“
Jedes seiner Worte bohrte sich wie ein Dolch in Auriels Leib, sie sackte in sich zusammen, wurde immer kleiner.
„Aber die Götter sind auf meiner Seite.“ Grímmaldur lachte schadenfroh. „Dieser Sohn eines dämonischen Unholds wird in seinem eigenen Blut auf Knien liegen und sich wünschen, niemals geboren worden zu sein!“ Jäh schlug der Jarl mit beiden Fäusten auf den Tisch.
„Lynchen?“ Auriel blieb der Bissen im Hals stecken.
„Ja!“ Grímmaldur schrie kriegerisch auf, einige der anderen Männer fielen in den Schlachtruf mit ein. „Das Feuer wird den Unhold seiner gerechten Strafe zuführen.“
Offensichtlich hat Renia ihm meine Gefühle zu Rhavîn nicht verraten , vermutete Auriel. Sie war erleichtert und traurig zugleich. Vermutlich ist es besser so. Der Jarl würde mich nicht verstehen
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