Rheingau-Roulette
kann nicht glauben, dass Gina und Judith dieselbe Person sein sollten. Und selbst wenn. Was soll´s? Warum bist du so gestresst, wenn es um diese Frau geht? Das mit der Vergewaltigung war doch ein Witz, oder?“
„Verdammt schlechter Witz. Und leider nein. Es war noch nicht mal ein schlechter Witz. Ich kann dir gern die Vorladung der Polizei zeigen.“ Seine Stimme klang bitter und sein Gesichtsausdruck war nicht mehr zornig und wütend, sondern müde und resigniert. Hannes stützte seinen Kopf in die Hände und betrachtete Alexandra eingehend über die Theke hinweg.
„Ich glaube, ich muss dir ein wenig ausholender erzählen, um was es hier geht.“
„Ich bitte darum!“
Er seufzte und holte tief Luft. Seinen Kopf hatte er gesenkt und in tiefer Konzentration sah er auf eine Kerze, die Alexandra auf die Theke gestellt hatte. Abwartend sah sie ihn an, bis er ihren steten Blick erwiderte.
„Stalking. Es geht um Stalking, wenn dir der Begriff was sagt.“
„Stalking? Wer stalkt wen?“
„Judith stalkt mich. Sie ist meine Stalkerin. Schon seit mehreren Jahren.“
„Und was heißt das?“
„Das heißt, was es heißt. Sie verfolgt mich. Das erfasst aber nicht die Bedeutung, die es hat.“
Unablässig spielte er mit dem Korken der Weinflasche. Zwischen seinen Fingern drehte er den Korken immer schneller hin und her, bis er mit einem leisen dong auf den Boden fiel.
„Es bedeutet, dass sie mein Schatten ist. Dass sie überall da ist, wo ich auch bin. Es bedeutet, dass ich nicht mehr normal leben kann.“ Hannes rieb sich müde über das Gesicht.
„Es bedeutet auch, dass es ein immenser Vertrauensvorschuss ist, dass ich hier mit dir sitze und dir diese Geschichte erzähle, obwohl ich dich noch nicht sehr lange kenne. Immerhin könntest du auch eine von den Frauen sein, die Judith im Verlauf der letzten Jahre auf mich gehetzt hat, um mich zu beobachten, auszuhorchen und zu demoralisieren. Um ehrlich zu sein, ich hatte sogar am Anfang den Verdacht, dass es so ist.“ Seine Stimme wurde immer belegter. Und er erzählte weiter.
Von der Beziehung, die er vor Jahren mit Judith hatte. Von ihrer Kontrollwut, von ihren Eifersuchtsattacken. Von ihrer Angst, dass sich Hannes von ihr trennen könnte.
„Sie hat meine Sachen durchsucht und mein Handy über einen Internetdienst lokalisieren lassen. Später hat sie meinen Computer so konfigurieren lassen, dass sie darauf zugreifen konnte. Sie hat meine Mails ausspioniert, sie hat meine Kontakte kontrolliert.“ Hannes Stimme war monoton. „Und ich Idiot habe es nicht gemerkt. Oder ich wollte es nicht merken.“ Er räusperte sich.
„Als ich in der Stadt zufällig eine alte Schulfreundin getroffen habe und mit ihr einen Kaffee trinken gegangen bin, ist es zum ersten Mal richtig eskaliert. Judith ist plötzlich in dem Café aufgetaucht und hat mir dort eine Szene gemacht. Sie hat geschrien, mich der Untreue bezichtigt und ist vollkommen ausgerastet. Sabine und ich waren völlig perplex. Zuerst habe ich mich noch nicht mal gewundert, warum sie plötzlich dort aufgetaucht ist. Später war es dann klar.“
„Sie hat dich verfolgt?“
„Ja. Sie hat mich komplett überwacht.“ Er lachte bitter auf. „Lückenlos. Oder, wenn sie nicht selbst konnte, hat sie mich überwachen lassen. Von anderen Frauen. Von Frauen, die ihren Erklärungen geglaubt haben und einer Freundin, die von ihrem Ex bedrängt wurde, einen Gefallen tun wollten.“
Er lief unruhig im Zimmer auf und ab, wie ein Wildtier im Käfig. Seine Rastlosigkeit war erschreckend. „Sie hat mich überwacht und Sabine terrorisiert. Mit Anrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit und mit E-Mails. Sie hat Sabine bei der Arbeit belästigt, so sehr, dass ihr Job auf Messers Schneide stand. Keine Ahnung, woher Judith die Informationen über Sabine hatte. Es war unglaublich.“ Seine Stimme erstarb und Schweigen hing in der Luft.
Er stand plötzlich sehr ruhig vor dem Fenster. Die Lichtverhältnisse ließen seine Silhouette wie eine versteinerte Figur erscheinen, wie einen seiner regungslosen Körper aus dem Atelier. Sein Blick war nach draußen gerichtet. Rötliches Abendlicht hatte den Himmel in den schönsten Farbtönen verfärbt und Alexandra spürte, dass der eigentliche Teil der Geschichte erst jetzt kommen würde. Sie wartete. Seine Stimme klang rau und heiser, als er weiter erzählte.
„Ich habe natürlich mit Judith über ihr Verhalten gesprochen. Sie hat bitterlich geweint und um Verzeihung gebeten. Sie
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