Rheingau-Roulette
stünde unter hohem emotionalem Stress wegen ihrer Familie. Das alles wäre ein Missverständnis und sie wollte Sabine ja nur sprechen, um die Sache aufzuklären und sich zu entschuldigen. Sie hat mir geschworen, es wären nur fünf Anrufe gewesen. Sabine konnte nicht beweisen, wer es war, der sie permanent mit Telefonterror belästigte. Nach der Aussprache ist es für fast zwei Wochen gut gelaufen. Die Belästigung von Sabine war vorbei und ich hatte vorsichtig angefangen, mich zu entspannen. Judith war sehr bezaubernd und süß. Sie erzählte mir von ihrer kaputten Familie. Und ich glaubte ihr alles.“ Hannes sah Alexandra an und zuckte mit den Schultern.
„Ich glaubte ihr tatsächlich alles. Ich Idiot. Ich dachte tatsächlich, es wäre eine stressbedingte Ausnahmereaktion gewesen.“ Er grinste schief.
„Und dann?“
„Dann ist es aus dem Ruder gelaufen. Komplett. Ist noch Wein da?“
Alexandra nickte. Sie beobachtete ihn, als er sich den Wein nachschenkte. Seine innere Unruhe war greifbar, auch wenn er es sich äußerlich nicht mehr so anmerken ließ.
„Ich hatte mich mit einem alten Schulfreund verabredet, zum Sport. Wir wollten in ein neues Fitnesscenter, die Fitnessfabrik. Georg hatte mir erzählt, dass es dort neue Sportgeräte gibt und vor allem einen tollen Saunabereich. Er hatte mir nicht erzählt, dass seine Schwester dort arbeitet. Als wir uns an der Theke begegnet sind, ist mir Uli um den Hals gefallen - wir hatten uns das letzte Mal vor fast zehn Jahren gesehen. Wir haben früher viel zusammen gemacht und mochten uns schon immer sehr gern. Tja. Diese Umarmung war fatal.“
Er strubbelte sich mit beiden Händen durch die Haare. „Ich hatte keine Ahnung, dass Judith mich beobachtete. Ich schwöre es.“ Er sah Alexandra an.
„Sie ist aufgetaucht, als ich Uli noch im Arm hatte, und ist so ausgerastet, dass ich kurz davor war, sie in die Psychiatrie einweisen zu lassen, wegen Eigen - und Fremdgefährdung. Sie hatte ein Messer dabei und mit Selbstmord gedroht, sie hat gedroht Uli umzubringen, sie hat gedroht, mich umzubringen. Schließlich hat der Eigentümer der Fitnessfabrik die Polizei gerufen, weil Judith nicht zu bremsen war. Die Polizei hat den Notarzt hinzugezogen, der hat sie mitgenommen und ruhiggestellt. Nach einer Woche war sie wieder zu Hause. Und ich hab mich getrennt.“ Hannes drehte unablässig das Weinglas in seiner Hand. „Das war´s dann.“
„Aber das war´s dann nicht, oder?“
„Nein. Natürlich nicht. Ich habe in den folgenden Wochen gemerkt, wie sehr sie mich verfolgt hat. Während der Beziehung war mir das gar nicht so bewusst.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß überhaupt nicht, wie sie diese Überwachung mit ihrem Job hingekriegt hat.“
„Wo hat sie gearbeitet?“
„An einer Schule. Als Englischlehrerin. Sie ist sprachlich sehr begabt, sie spricht auch russisch und bulgarisch. Zum Teil hat sie auch als Übersetzerin gearbeitet.“ Er schwieg einen Moment. „Aber wer weiß schon, ob das stimmt, was sie mir erzählt hat.“
„Na, als Übersetzerin kann sie sich ihre Zeit zum Teil selbst einteilen. Als Lehrerin nicht, da hätte sie sich krankschreiben lassen müssen. Hast du nicht versucht, rauszufinden, was an ihren Erzählungen stimmt oder nicht?“
„Nein. Glaub mir, es hat mir definitiv gereicht, was ich aus eigener Erfahrung über sie wusste.“
„Verständlich“, sagte Alexandra leise. „Und dann?“
„Tja, ich Idiot dachte immer noch, dass es mit der Trennung getan ist.“
„Wie lange ward ihr zusammen?“
„Ein knappes halbes Jahr. Silvester zweitausendzwei hatten wir uns kennengelernt und im Juni habe ich mich getrennt.“
Er grinste. „Da sollte man doch eigentlich noch auf rosa Wolken schweben, oder?“
„Oder die Reißleine ziehen ...“, Alexandra sah ihn an. „War die Trennung nun gut oder schlecht für dich?“
Er erwiderte ihren Blick nachdenklich und zuckte mit den Achseln.
„Letztlich war es egal. Das Trennungsgespräch war extrem höflich. Judith akzeptierte die Entscheidung ohne Theater und sah ein, oder tat jedenfalls so, dass ihr Verhalten für mich nicht tragbar war. Sie ließ mich in dem Glauben, dass eine einvernehmliche Trennung tatsächlich möglich sei. Offensichtlich aber konnte sie nicht wirklich mit der Beziehung abschließen. Nach einer Woche fing der echte Terror an. Ich kriegte Liebesbriefe. E-Mails. Zettel am Auto, Anrufe auf der Arbeit. Sie ließ mir Päckchen mit erotischen Inhalten
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