Rheingau-Roulette
gesehen!“
Irritiert sah sie ihn an. „Wen hast du gesehen?“
„Dich und Judith“, knurrte er. Er drückte sie gegen das Auto. „Tu nicht so unschuldig.“
Langsam wichen die Verwirrtheit und die Irritation dem Zorn, der sich in schmalen, züngelnden Flammen in ihr breit machte und aus dem Bauch zögernd, aber zielstrebig nach oben kroch.
„Hannes, verdammt noch mal, jetzt sag mir endlich, was das hier soll! Ich tue nicht unschuldig, ich bin unschuldig! Ich kenne deine blöde Judith überhaupt nicht, woher auch und ich weiß verdammt noch mal überhaupt nicht, was du von mir willst! Außerdem tust du mir weh!“ Der Zorn war in ihren Augen angekommen. Wütend starrte sie ihn an.
„Du kennst sie nicht? Du kennst sie nicht.“
Er sagte es leise, dicht vor ihrem Gesicht und sie spürte, wie seine rauschende Wut in eiskalte Spannung umschlug und sein Körper zu einer kompakten Masse aus Stahl wurde, gegen den sie nichts ausrichten konnte. Seine Stimme war kalt und zart zugleich, wie eine herbe Eispraline und ließ ihr die Haut gefrieren.
„Du kennst sie nicht, aber gehst mit ihr joggen! Ich hab euch gesehen! Heute! Warum tust du das, Alex? Warum tust du mir das an? Ich dachte ...“ Er sah sie einen Augenblick stumm an und dann brach sein Zorn unkontrolliert aus ihm heraus.
„Los komm!“
Grob zog er sie vom Auto weg und schob sie durch den kleinen Durchgang im Scheunentor in die Scheune. Alexandra bewegte ihre Füße mechanisch mit seinen Richtungsvorgaben. Ein leises Unbehagen beschlich sie. Sie versuchte noch immer zu verstehen, was hier gerade passierte und überlegte fieberhaft, was Hannes so in Rage bringen konnte. Eine dumpfe Erinnerung an den Morgen wurde von seiner leisen Stimme unterbrochen.
„Was hat sie dir erzählt? Dass es hier passiert ist? Hier in der Scheune?“
Das Licht war dämmrig und durch die Luft zog der staubige Geruch von altem Stroh, Maschinenöl und Leder.
„Wo genau? Dort hinten, im Stroh?“
Er schob sie unerbittlich durch die Scheune bis zu einer Pferdebox, in der kein Pferd stand, die aber mit frischem Stroh ausgeschlagen war.
Ungeduldig sagte Alexandra: „Hannes, jetzt komm mal wieder runter, ich sagte schon, ich kenne deine Judith nicht!“
„Du läufst mit ihr! Ich habe euch gesehen!“
Alexandra hob abwehrend die Hände, die er sofort einfing. Sie versuchte sich aus seiner Umklammerung zu lösen. Umsonst. Seufzend gab sie ihre Gegenwehr auf, in der Hoffnung, die Situation zu entschärfen und sagte leichthin: „Meine Lauffreundin heißt Gina.“
„Es ist Judith.“
„Du spinnst. Und was soll sie mir erzählt haben? Warum schiebst du mich wie ein Geisteskranker durch die Scheune hier in die Box?“
Sie versuchte erneut, ihre Hände frei zu bekommen. Ein sinnloses Unterfangen, wie sie frustriert feststellen musste.
„Weil ...“, er schob sie unbeirrt weiter durch die Box, bis sie an der Wand zum Stehen kam, „... weil Judith mich verfolgt. Weil sie versucht, mein Leben zu dominieren. Weil sie andere dazu benutzt, um mich zu kontrollieren. Andere, so wie dich. Und ...“, er fasste beide Arme von Alexandra mit einer Hand hinter ihrem Rücken zusammen, schob seine freie Hand unter ihr T-Shirt und drängte sein Bein zwischen ihre.
„Und weil sie mich der Vergewaltigung bezichtigt. Hier. In dieser Box. Das hat sie dir doch sicher erzählt. Willst du nicht wissen, ob es stimmt?“
Seine blauen Augen hypnotisierten sie. Gletschereis. Schweigend sahen diese Augen sie an. Warteten auf ihren Widerstand, Widerstand, den sie ihm gegenüber niemals hätte leisten wollen. Vielleicht auch gar nicht gekonnt hätte. Dunkel vor Zorn war sein Blick und die zarten Lachfältchen, die sich an den Lidrändern eingegraben hatten, waren verschwunden. Diese Augen beobachteten sie unablässig, immer noch die Reaktion erforschend, die sie zeigte, bevor sich seine Lippen den ihren näherten.
Sein Kuss war wütend. Fordernd. Dominant. Und er löste einen Flächenbrand erotischer Empfindungen in ihr aus, die sie nicht wahrnehmen wollte. Alexandra wusste nicht, was sie fühlen sollte. Oder fühlen wollte. Gebrandmarkt.
Die ganze Situation war so irreal. Sie spürte gleichzeitig Bedauern und Verlangen. Bedauern darüber, dass sie so offensichtlich von ihm als Ventil für seinen Zorn benutzt wurde und Verlangen, weil sie es genoss, so von ihm angefasst zu werden, wie er sie anfasste. Zart und fordernd zugleich. Und weil es wahr war, was Caro gesagt hatte. Er hatte sie betört.
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