Rheingau-Roulette
„Natürlich nicht. Aber die Saat des Zweifels ging auf. Uli hat es nicht ausgehalten, sie hat die Angst nicht ausgehalten.“
Alexandra fühlte sich eingesperrt in der Wohnung. Die Geschichte mit den abgeschnitten Haaren hinterließ einen ängstlichen Grundton in ihrem Befinden und sie musste an die frische Luft. Durchatmen. Trotz der Hitze ein paar Schritte laufen. „Lass uns nach draußen gehen. Ich brauche räumliche Freiheit für meine Gedanken.“
Die abendliche Hitze traf sie unvermittelt und heftiger als sie dachte. Sie hatten die Flasche Wein fast ausgetrunken und in der klimatisierten Wohnung war ihr die Wirkung des Alkohols nicht bewusst. Sie gingen in den kleinen Garten, der zwischen Hannes Kücheneingang und dem Wohnungseingang lag. Das Gemisch aus Bienengebrumm, Vogellauten und menschlichen Geräuschen aus dem Ort ergab ein gleichmäßiges Hintergrundgeräusch, das Alexandra an ihre dörfliche Kindheit erinnerte. Sie hatte Durst.
„Hast du Mineralwasser in der Küche?“
Hannes holte eine Flasche Wasser und frische Gläser.
„Du bist die erste Frau seit Jahren, mit der ich öffentlichen Kontakt habe und die nicht schon seit Ewigkeiten zum Freundeskreis gehört. Und weil das so ist, bist du nicht ungefährlich für Judith.“ Er sah sie direkt mit seinen blauen Augen an.
„Das ist das Gefährliche daran für dich.“
Stumm saß Alexandra auf einer Holzbank, hörte Hannes zu und schaute auf die trockenen Felder jenseits des kleinen Gartens. Sie war schockiert und fühlte sich überwältigt von der Geschichte, die Hannes ihr erzählte, aber auch von den Geschehnissen des Tages und der vergangenen Wochen.
„Daher das Fahrrad? Die Ratten? Der Einbruch. Alles das nur, weil wir miteinander gesprochen und getanzt haben?“
„Vermutlich. Du hättest im Umkreis von zwei Metern neben mir stehen können und es hätte schon gereicht. Oder dass wir uns zufällig angeschaut hätten.“
Alexandra starrte noch immer blicklos auf das Feld. „Warum hat sie sich Gina genannt?“
Hannes zuckte mit den Achseln. „Ich kann nur raten. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass ich es sonst früher herausfinden könnte. Ich glaube, ihr zweiter Vorname war Virginia.“
„Ja, das hatte sie erzählt, dass sich Gina davon ableitet.“ Sie wandte ihm das Gesicht zu. „Wissen es die Anderen?“
„Nein. Jedenfalls kennen sie nicht das Ausmaß der Verfolgung. Frank weiß es, die anderen ahnen vielleicht etwas. Aber ich habe mich diesbezüglich immer sehr bedeckt gehalten.“
Er streckte die Beine aus und ließ den Kopf erschöpft nach hinten in das Stuhlkissen sinken. „Sorry. Ich muss mich mal strecken. Wenn ich so lange über das Thema Judith rede, verspanne ich sofort.“
„Kann ich verstehen. Warum hast du sie nicht angezeigt? Oder hast du?“
Hannes warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Kannst du dir vorstellen, wie die Reaktion von einem Polizisten ist, dem man diesen Sachverhalt schildert? Judith ist keine hässliche, sondern eine ausgesprochen hübsche Frau. Ich habe genau einen Versuch gemacht. Dummerweise war Judith in Sichtweite. Möchtest du hören, was der junge Polizist gesagt hat?“
„Vermutlich nicht das, was du hören wolltest?“
„Oh Mann, von der möchte ich auch gern mal verfolgt werden.“ Er schüttelte den Kopf. „Es gibt keinen Straftatbestand, der Nachstellerei erfasst. Es wird viel darum diskutiert. Aber als Betroffener stehst du im Regen. Und für den Polizisten war ich ein Weichei. Schattenparker. Einer, der seine Weiber nicht im Griff hat. Das war´s dann.“
Sie schwiegen. Alexandra fühlte sich ausgelaugt. In ihrem Inneren rumorte es. Stimmte es wirklich, was Hannes ihr hier erzählt hat? Keinesfalls konnte Gina was damit zu tun haben. Nicht Gina, diese quirlige Läuferin mit ihrem esoterischen Weltbild. Wer war hier der Verfolgte und wer der Verfolger? Es gab ja scheinbar für beide Seiten keine Beweise. Und warum hat ihr Hannes alles in epischer Breite erzählt, wenn er sie gleichzeitig verdächtigt, mit Judith alias Gina gemeinsame Sache zu machen?
Sie fühlte sich verwirrt und unsicher. „Warum hast du es mir erzählt? Glaubst du plötzlich nicht mehr, dass Gina und Judith ein und dieselbe sind?“
Hannes lachte. Es war kein fröhliches Lachen. Es grub bittere Linien in sein schmales Gesicht. „Ich weiß, dass deine Gina und meine Judith eine Person sind. Ich habe sie gesehen. Und trotz ihrer kurzen schwarzen Haare und der bunten Kleidung erkannt.“
Es war eine
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